2022 – Distanzsport in der Historie – Von den Anfängen im Osten bis heute
„Reiten und Zucht“ 3/2022
Die Geschichte des Distanzsports in den neuen deutschen Bundesländern beginnt 1987 in Brandenburg. Während Distanzreiten seit Gründung des Vereins Deutscher Distanzreiter (VDD) 1976 in der Bundesrepublik rasch an Popularität gewinnt, ist die Pferdesportdisziplin in der DDR bis dato nahezu unbekannt. In der VDD-Vereinszeitschrift „Distanz aktuell“ I/1989 gibt es zum ersten Mal eine Rubrik „DDR-Distanznachrichten“. Hier heißt es: „Unter der Federführung von Frau Margot Schöning aus Fredersdorf und Herrn Harry Lüdtke aus Ahrensfelde bildet sich nun auch in der DDR eine Gemeinschaft von Distanzsportlern. Die VDD-Geschäftsstelle steht in Kontakt zu den Distanzfreunden in der DDR.“
Harry Lüdtke, der 1989 im VDD zunächst zum Beauftragten für Distanzreiten in der DDR berufen und 1990 zum ersten Regionalbeauftragten für die fünf neuen Bundesländer gewählt wird, kommt in der „Distanz aktuell“ I/1989 in einem mehrseitigen Artikel selbst zu Wort: „Distanzreiten ist eine noch sehr junge Disziplin in der DDR. Obwohl ein Regelwerk dazu in der LPO besteht, ist diese Sportart völlig in Vergessenheit geraten. Seit 1987 gibt es jedoch Initiativen, das Distanzreiten wiederzubeleben. Der bescheidene Beginn mit vier Ritten mit Streckenlängen von 35-45 km hat großes Interesse geweckt. Die Zahl der Starter nahm ständig zu. Mehr und mehr Sportgemeinschaften bieten sich als Veranstalter an. 1988 wurden vier offizielle Veranstaltungen mit ansprechendem Niveau durchgeführt.“
Dazu zählte auch der als Bernauer Kreismeisterschaft ausgeschriebene 2-Tages-Ritt über 2 x 50 km in freiem Tempo in Biesenthal. Gewonnen wurde dieser Wettkampf von dem später als VDD-Tierarzt sehr engagierten Dr. Fritz Walter aus Bernau mit dem Englischen Vollblüter Rodrigo vor Roland Kästner aus Hoppegarten, ebenfalls mit einem Englischen Vollblüter, Como. Dabei lag der Sieger mit 15,46 km/h nur 4 min vor dem Zweitplatzierten. Die Wandlitzer Reiterinnen Ina Jehring und Katrin Lange belegten mit Arabischen Vollblütern Platz drei und vier. Bezeichnend für den Distanzsport in der DDR ist es, dass zunächst vornehmlich mit Warmblütern, Ex-Galoppern und Trabern geritten wird. Der Pool an Arabischen Pferden in der DDR – die dann jedoch in der Regel ganz vorn mitlaufen – ist begrenzt. Die meisten stammen aus der Zucht des Rostocker Zoos, so auch der polnisch gezogene Hengst Galdos Ben Mors, Sohn des Elitehengstes Mors (Gestüt Janów Podlaski), der als Vererber Generationen von Distanzpferden seinen Stempel aufdrücken wird.
1990 findet die Weltmeisterschaft im Distanzreiten in Stockholm statt. Zum Sichtungsritt in Ankum wird auch der Hoppegartener Kästner mit Como eingeladen, kann den Ritt wegen Beschlagproblemen jedoch nicht in der Wertung beenden. In diesem Jahr veranstaltet der spätere Landes-Jugendtrainer Wolfgang Barth seinen ersten Distanzwettbewerb in Kagel, zunächst nur über 30 und 50 km, eine Veranstaltung, die bis 2016 alljährlich fester Bestandteil des Brandenburger Distanz-Terminkalenders werden wird.
Zwei weitere Veranstaltungen, die sich über Dezennien halten sollen, werden 1991 aus der Taufe gehoben: Angermünde und Rüdnitz. Am 21. September 1991 schlägt die Stunde für die erste Landesmeisterschaft Berlin-Brandenburg. Diesmal ist Roland Kästner mit seinem Reitverein Am Fließ in Hoppegarten der Veranstalter. Harry Lüdtke schreibt in der „Distanz aktuell“ I/1992: „Früh um 8:30 Uhr gingen bei herrlichem Herbstwetter 33 Distanzreiter an den Start. 10 hatten sich für die große Tour entschieden. Bei der Streckenauswahl und deren Markierung haben erfahrene Distanzreiter mitgewirkt. Vom Start weg gingen die ersten Kilometer über einen Teil der weitläufigen Trainierbahn von Hoppegarten. So wurde im flotten Tempo begonnen. Feste Straßen sind weitgehendst vermieden worden. Feld- und Waldwege, mit einem Wassereintritt in den Bötzsee bei Straußberg, kennzeichneten im Allgemeinen den Streckenverlauf. […] Stephan Habeck aus Kaltenkirchen (Schleswig-Holstein) mit seiner Stute Sirena ließ sich nicht beirren. Sicher, mit einer Reitzeit von 04:43:00 h ritt er als erster über die Ziellinie nach 79 km. Nur 4 Minuten später, mit einer Reitzeit von 04:47:00 h ritt Karin Guse mit Said ben Kaidal vom RV Helenenau ins Ziel. Sie sicherte sich nicht nur nach einem gut getimten Ritt den 2. Platz, sondern auch den Landesmeister der Distanzreiter Berlin Brandenburg 1991.“
Bereits im März 1991 hat Harry Lüdtke einen Ritt von Berlin zur Equitana nach Essen organisiert. Mit von der Partie und eine der vier Teilnehmer(innen), welche die gesamte Strecke bewältigen, ist Regine Markowitsch mit ihrem Warmblüter Golf. Die Altlandsberger Veterinärin lässt sich bis heute als versierte VDD-Tierärztin vor allem aus dem ostdeutschen Distanzsport nicht mehr wegdenken.
1992 entdeckt auch der erfahrene Hamburger Distanz-Veranstalter Claus Angelbeck das große Potenzial für den Distanzsport im Osten. In Anlehnung an Lüdtkes Equitana-Ritt organisiert er im April einen 4-Tages-Distanzritt von Rostock über Schwerin nach Hamburg zur „Hansepferd“ und im August einen 7-Tage-MTR über 592 km von Hamburg nach Dresden. Das einzige Pferd-Reiter-Paar, welches die gesamte Strecke quer durch die neuen Bundesländer bewältigt, ist Birgit Groth mit ihrem Traberwallach Effendi. Die Saarländerin, die erst kürzlich nach Potsdam umgezogen war, hatte den Wallach, der sich nicht verladen ließ, zuvor auf einem 11-tägigen Wanderritt (barfuß!) von Caputh nach Hamburg geritten und war dann nach einer Pause von 10 Tagen mit ihm (beschlagen) in den Start gegangen.
Im Jahr 1992 wird auch der Brandenburger „Wanderpokal für das erfolgreichste Pferd-Reiter-Paar“ gestiftet, der Vorläufer des heutigen Landespokals Berlin-Brandenburg. Die erste Pokalgewinnerin ist Andrea Thieme mit ihrem Warmblüter Söhnlein vor Sandra Jettke mit Galdos ben Mors ox und Regine Markowitsch mit Golf.
Auch 1993 gestaltet Claus Angelbeck das Distanzsport-Geschehen in Ostdeutschland maßgeblich mit. So organisiert er im Hohen Fläming, an der Landesgrenze von Brandenburg zu Sachsen-Anhalt, die erste Deutsche Meisterschaft in den neuen Bundesländern, allerdings ohne Beteilung eines Reiters aus denselben. In Kooperation mit dem Hoppegartener Reitverein Am Fließ verwirklicht er das Projekt „Der Kurier des Königs“ – in 7 Tagen von Berlin nach Kwidzyn, 471 km auf den Spuren des 1734 von Friedrich Wilhelm I. gesandten Kuriers Leutnant von Thiedemann. 34 Reiter starten feierlich unter den Klängen der Nationalhymne von der Rennbahn Hoppegarten aus Richtung Polen. Der Bericht der später Drittplatzierten Cornelia Koller (Autorin des 2001 bei Cadmos erschienen Buches „Distanz Reiten: Tipps für Einsteiger“), die ihren Welsh-Araber Sahib ritt, hat allerdings auch nachdenkliche Töne: „Hinter der Grenze schien die Zeit stehengeblieben zu sein. Vorbei an Leiterwagen aus dem vorigen Jahrhundert, vorbei an mit Pferden pflügenden Bauern, an Rückepferden. Vorbei an angepflockten Ziegen und Rindern, unzähligen Storchennestern und stolzen Schwänen. Kleinbäuerliche Idylle, wie sie im Westen schon lange nicht mehr zu finden ist. […] Der Anblick von Armut beschämt angesichts des eigenen Konvois. Die Kluft zwischen Ost und West war mit jedem Schritt zu spüren. Mentalitäten, zwischen denen trotz der geringen geografischen Entfernung Welten liegen.“ – Gewonnen wird der Ritt im Übrigen wieder von Birgit Groth und Effendi, die im Jahr darauf, 1994, gemeinsam mit Jörg von Gersdorff auch Landemeisterin werden soll.
Die Landesmeisterschaft 1993 wird zum ersten (doch bei weitem nicht zum letzten) Mal über 111 km bei Wolfgang Barth in Kagel ausgetragen (damals noch als 2-Tages-Ritt 70+41 km). Der Veranstalter ist selbst mit von der Partie und sichert sich den Titel mit seinem Warmblüter Severin Hand in Hand mit Dieter Reimann auf Tajo.
Eine weitere Persönlichkeit, die ist Distanzsport im Osten zu dieser Zeit maßgeblich prägt, ist Sieglinde Dick. Bereits 1990 hat sie zum ersten Mal einen Distanzritt von Münchehofe aus organisiert, der anfangs noch über die Hoppegartener Trainierbahnen, in späteren Jahren durch den Köpenicker Forst führt. (Ich selbst gab hier mein Distanz-Debüt mit dem Vollblüter Milano, den mir Roland Kästner zur Verfügung gestellt hat.) Sieglinde Dick, der erste weibliche Jockey der DDR, die als „hart aber herzlich“ gilt, wird ab 1997 mehrfach Landesmeisterin und Landespokalgewinnerin. 1998 und 1999 belegt sie Platz drei bei den Deutschen Meisterschaften und wird 2001 Deutsche Vizemeisterin. 1998 startet sie mit Flyer bei den Weltmeisterschaften in Dubai – allerdings glücklos – und steht mit dem Traber 1999 auf Rang 2 der VDD-Liste.
Nicht nur die Leistungsfähigkeit von Reitern und Pferden, auch die Qualität der Distanzsport-Veranstaltungen nimmt Ende der 90-er Jahre im Osten rapide zu. Ab 1998 etabliert sich ein Distanzritt im Rahmen des Araberchampionats im Haupt- und Landgestüt Neustadt (Dosse), durchgeführt von Familie Markowitsch, die hier auch 1999 die Deutsche Meisterschaft im Distanzreiten ausrichtet, damals noch ein ausschließlich national ausgeschriebener Ritt. Bis zur Austragung des ersten internationalen Distanzrittes in Brandenburg vergehen allerdings weitere zwölf Jahre. 2011 veranstaltet der heute amtierende VDD-Präsident Renan Borowicz in Glien erstmals einen CEI2*. Die Veranstaltung wird 2012 als CEI3* durchgeführt und 2013 schließlich auch in Verbindung mit der Deutschen Meisterschaft.
Der Neustädter Distanzritt, der seit der Einstellung des Araber-Championates im Jahr 2005 nicht mehr stattgefunden hat, erfährt 2015 eine Wiederauflage mit einem CEI1* unter Federführung der VDD-Ehrenpräsidentin Dr. Juliette Mallison. 2016 als CEI2*-Wettbewerb ausgetragen, gipfelt diese FEI-Ritt-Serie im Jahr 2017 in einem CEI3*, ebenfalls in Verbindung mit der Deutschen Meisterschaft.
Hier sei abschließend der Bogen in die Gegenwart gespannt. Dem Pandemiegeschehen zum Trotz organisierte der MRFV Trechwitz im vergangenen Jahr auf dem Biohof zum Mühlenberg mit Unterstützung von Dr. Mallison und Landestrainerin Michaela Wilczek erstmalig einen internationalen Distanzritt, der, wie auch 2021 in Verbindung mit der Landesmeisterschaft, in diesem Jahr als CEI3*-Veranstaltung wieder aufgelegt werden soll.
Miriam Lewin
2021 – Pagur: Arabisches Vollblut als Veredler
„Reiten und Zucht“ 4/2021
Pagur, ein außergewöhnlicher Vollblutaraberhengst. – Indem ich dies schreibe und diesen ausdruckvollen, bewegungsstarken, harmonischen, eleganten Fuchshengst mit der breiten Blesse vor mir sehe, beschleicht mich das Bedürfnis, das Arabische Vollblut als Veredler per se zu verteidigen. Warum? Weil es das nötig hat? Möglicherweise. Weil es seine Rolle als Sportpferdveredler ausgespielt hat? Weil das Araberpferd nur noch zum Selbstzweck gezüchtet wird? Als Distanzsportler, als Show-Off, als Freizeitpartner für den gehobenen Anspruch? Ich lasse die Fragezeichen stehen, ebenso, wie ich keine Wertung damit verbinden möchte. Gesucht werden gute Pferde in allen diesen Sparten, und die Araberzucht ist prädestiniert, dafür zu liefern. Doch haben weder Distanzsport noch Arabershows in Nordeuropa und speziell in Deutschland den Stellenwert, den sie weltweit und insbesondere im Mittelmeerraum besitzen. Es gibt, kurzum, keinen Blumentopf zu gewinnen. Und so sieht es dann auch mit den Leistungsprüfungen aus. Ein Vollblutaraber, der erfolgreich auf der Rennbahn gelaufen ist – zumeist in Polen oder Russland (in Deutschland wurde seit 2016 kein Araberrennen mehr ausgeschrieben) – wird in ambitionierten Distanzreiterkreisen als hart und leistungsbereit geschätzt, gilt aber auch als oftmals schwieriger im Handling als ein Pferd ohne Rennbahnerfahrung. Die altersbezogene Hengstleistungsprüfung über den Verein Deutscher Distanzreiter (VDD) sieht für den 6-jährigen Hengst zwei MDR zwischen 61 und 80 km und für den 7- bis 8-jährigen drei LDR ab 81 km vor, die in der Wertung beendet werden müssen. – Oder für Kilometersammler ohne Altersbegrenzung 2.000 km. Wer das schafft, hat Leistungsbereitschaft gezeigt, sich doch aber noch längst nicht im Spitzensport empfohlen! Weiter oben wird die Luft dünn. 120 km sind eine ganz andere Dimension als 81 km, und in internationaler Konkurrenz besteht dabei in Deutschland nur eine Handvoll Pferde. Pagur, über einige Jahre im Trakehner Gestüt Elchniederung im Brandenburgischen Ützdorf als Beschäler aufgestellt, war eines von ihnen. Er lief dreimal erfolgreich international, zuletzt auf einen dritten Platz beim CEI2* über 120 km im September 2019 in Possen unter Anne-Katrin Melles. – Zudem ist anzumerken, dass Pagur seine Erfolge im Distanzsport während seines aktiven Deckeinsatzes zeigte.
Der 2007 im russischen Gestüt Khrenovoe gezogene Fuchs stammt von dem Rennpferdevererber Gepard ab, und ist über seine Mutter Pospa, die einige hoch erfolgreiche Rennpferde gebracht hat, Enkel der sowjetischen Ausnahmestute Prikhot, die zwei klassische Rennen gewonnen und vier Geschwindigkeitsrekorde aufgestellt hat. Pagur selbst wurde 2- und 3-jährig auf der Rennbahn geprüft, kassierte zwei Siege, lief 8-mal ins Geld, rangierte unter den Top-Ten seines Jahrgangs und legte die Hengstleistungsprüfung über den Rennsport ab, ehe er 2010 nach Österreich in den Besitz von Gertraud Zechner kam.
Hier wurde er zunächst im Turniersport gefördert und in der Dressur bis Klasse M vorgestellt. Wir sehen einen Vollblutaraberhengst mit enormem Gangvermögen! Und nein, dies ist kein Widerspruch in sich, betrachten wir einmal die innere und äußere Harmonie des Pferdes ohne aufgepfropften Ausdruck, wie heute im Dressurviereck gang und gäbe. (Wenn man sich Videoaufnahmen des sowjetischen Olympiasieger Filatov mit seinem Achal-Tekkiner Absent anschaut, wird klar, was ich meine: Dieser Pferdetyp hätte heute im großen Dressursport nicht andeutungsweise eine Chance!)
Es lässt sich bis hierher konstatieren, dass Pagur sowohl im Rennsport als auch im Distanzsport überdurchschnittliche und in der Dressur hervorragende Leistungen sowie Leistungsbereitschaft gezeigt hat, gepaart mit einem erstklassigen Exterieur und Interieur.
Im Jahr 2016 kam Pagur als Pachthengst auf die Anlage der Trakehner Züchterin Jana Scheffel nach Brandenburg und wurde zunächst unter Judith Schillmann im Distanzsport vorgestellt, ab 2017 unter Anne-Kathrin Melles, die neben internationalen Erfolgen mit dem Hengst im selben Jahr auch den Landes-Vizemeister-Titel holte. Noch immer schwärmt sie von ihm: „Pagur ist extrem rittig und lauffreudig, immer mit gespitzten Ohren voran und dabei stets kontrollierbar, einfach ein Traum, ob auf dem Platz oder im Gelände. Man nimmt die Zügel auf, und er ist sofort bei der Sache, zeigt Seitengänge, fliegende Wechsel, lässt sich aus dem Renngalopp durchparieren und im Schritt am langen Zügel weiterreiten, ein absolutes Verlasspferd. Dabei ist er extrem menschenbezogen, kommt auf Zuruf und ist regelrecht verschmust.“
Ein Hengst ohne Fehl und Tadel also? Doch vererbt er seine hervorragenden Eigenschaften auch? – Und hier steht – trotz sparsamen Deckeinsatzes – ein mehrfach unterstrichenes JA! 2018 beeindruckten zwei seiner Fohlen aus der Zucht von Jana Scheffel beim Trakehner Fohlenchampionat in Graditz, darunter Donnerwetter (a.d. Dornenkrone), Siegerin der springbetonten Stutfohlen, bestes Halbblutfohlen und Gesamtsiegerin, die im Typ mit einer glatten 10,0 bewertet wurde! Reserve-Sieger der springbetonten Hengstfohlen wurde der Pagur-Sohn Osterwunder (a.d. Oklahoma Lilly). Im selben Jahr belegte die 2014 gezogene Wasserlilie den 6. Platz beim Bundechampionat der 4-lährigen Jungstuten der Arbeitsgemeinschaft Warmblutzucht Österreich (AWÖ). Ein Jahr später präsentierte sich Padarok (a.d. Pandora) als der Trakehner mit höchster Gangbenotung und bestes Halbblutfohlen. Und im Oktober 2020 schließlich landete der bereits 2018 als Fohlen hoch eingeschätzte Osterwunder bei der Trakehner Körung in Neumünster einen Volltreffer und wurde als bester Spring- und Halbbluthengst ausgezeichnet.
Pagur ist Prämienhengst des Österreichischen Araberzuchtverbandes und gekört für DSP und ARGE Österreichisches Warmblut sowie anerkannt für Trakehner, Oldenburger, Rheinland und ZfdP. In dieser Saison ist er im renommierten Ungarischen Nationalgestüt Bábolna als Beschäler aufgestellt.
Miriam Lewin
2021 – Rabea Müller: Blinde Lebensfreude
„Reiten und Zucht“ 3/2021
Zippos Mighty Alizee ist der volle Name der augenlosen Appaloosa-Stute im Besitz von Rabea Müller, die mit ihr im vergangenen Oktober ihren bisher längsten Distanzritt über 80 Kilometer absolvierte. Wir sind der Geschichte dieses ungewöhnlichen Pferd-Reiter-Paares nachgegangen.
Die Cottbusser Apothekerin Rabea Müller hatte von ihrem fünften Lebensjahr an Reitunterricht und kam durch Freunde später zum Westernreiten. Als sie im Alter von 17 Jahren ihr erstes eigenes Geld verdiente, landete sie auf der Suche nach einem geliebten Schulpferd, welches sie eigentlich zurückkaufen wollte, bei einem Appaloosa-Züchter. Das gesuchte Pferd konnte sie dort nicht zurückerwerben, aber sie begegnete Mighty – und war tief beeindruckt von deren Charakter. „Das war überhaupt keine Liebe auf den ersten Blick, sie war auch nicht schön, aber ich hatte einen riesigen Respekt vor dem Kämpferherz dieses fast blinden Pferdes.“ Damals, im Jahr 2014, die zwölfjährige Mighty war zum siebten Mal tragend und hatte ein Fohlen bei Fuß, machten ihr seit Jahren immer wieder auftretende Augenprobleme zunehmend zu schaffen. Periodische Augenentzündungen hatten zu Sekundärerkrankungen – einem Glaukom rechts und beidseitig zu einer Linsenluxation geführt. Sie hatte Probleme, sich in der Herde zu behaupten, kam im Laufstall nicht ans Futter heran und war schreckhaft. Für die Vorbesitzer wurde die einst teuer importierte Zuchtstute zunehmend zur Belastung. Sie waren bereit, Rabea das Pferd zu überlassen. Lediglich das damals noch ungeborene Fohlen musste sie später kaufen: Zippos Carmina Moon, ihr heutiges Zweitpferd.
Ein langer Weg lag vor Rabea und ihrer Appaloosa-Stute. In den ersten zwei Wochen im heimatlichen Stall konsultierte sie vier Tierärzte, und alle bescheinigten der Stute absolute Blindheit. Eine schiefe Hüfte, Muskelatrophie im Rücken und Zahnprobleme kamen hinzu. Doch nicht allein das: Mighty war alles andere als umgänglich. Sie hatte kein Vertrauen in den Menschen, reagierte panisch auf Sattel und Trense, ging durch, rannte gegen alles … „Sie hörte einfach nicht zu. Entweder war sie aggressiv, stieg und schlug, wenn sie ihren Willen durchsetzen wollte, oder sie wurde lethargisch, wenn sie sich einmal wieder selbst wehgetan hatte.“ Rabea fuhr das Programm herunter und verbrachte ein Dreivierteljahr nur mit Bodenarbeit, Freiarbeit und Spaziergängen. Sie zögerte zunächst noch, die Augen der Stute, die weiterhin massive Probleme bereiteten, operieren lassen, da Mighty zunächst trächtig und danach laktierend war. „Aber in dieser Zeit haben wir unser Blinden-ABC etabliert. Nach drei Monaten bin ich endlich zu ihr durchgedrungen“, erzählt Rabea. „Ich habe beobachtet, wie und worauf sie reagiert und so unsere Kommunikation entwickelt. Inzwischen beherrscht Mighty an die achtzig Kommandos, zeigt auf Befehl Seitengänge und Levaden, aber auch Zirkuslektionen oder springt über Gräben und kleine Hindernisse. Viel wichtiger als all das ist aber die Verständigung über größere Entfernungen wie zum Beispiel beim Umzug auf eine neue Koppel.“ Wie man sich das vorstellen kann? – Ein kurzer Pfeifton heißt zum Beispiel „Hallo“, ein langer Pfeifton ist das Alarmsignal in einer Schrecksekunde. Rabea hat die Blindensprache für ihr Pferd aus eigener Intuition und ohne Anleitung entwickelt. Da es auch kaum Literatur zu diesem Thema gibt, schrieb sie ihr eigenes Buch. „Blinde Pferde, ein Leben mit anderen Sinnen“ ist 2017 beim Rungholt Verlag erschienen (leider jedoch vergriffen). Es ist ein Leitfaden für den Umgang mit dem blinden Pferd und beantwortet unter anderem Fragen wie: Was kann ich selbst tun und wann muss ich mir Hilfe holen? Was kann ich selbst behandeln und wann muss ich in die Klinik fahren?
Mightys Augen waren nicht zu retten. Zwei Jahre nachdem sie zu Rabea gekommen war, musste das linke Auge entfernt werden, drei Monate später das rechte.
Das Vertrauen zwischen Rabea und Mighty ist in ihrer gemeinsamen Zeit entstanden. Rabea möchte ein Pferd so akzeptieren, wie es ist. Sie will auch das blinde Pferd nicht zur Abhängigkeit, sondern zur Selbstständigkeit erziehen. Hauptziel ihrer Ausbildung ist, dass die Pferde motiviert mitarbeiten und „von innen heraus strahlen“.
Sie beschreibt die Mighty von heute als mutig, ein selbstbewusstes Pferd, das weder Angst vor Brücken noch Rauchbomben, Gräben oder Sprüngen hat, ein in allen Gangarten ausgesprochen trittsicheres Pferd. Sie sei aber auch extrem lauffreudig. „Wenn sie nicht ihre achtzig Kilometer pro Woche läuft, wird sie ungnädig, hoch explosiv und schikaniert die anderen Pferde.“
Deshalb wagte sich Rabea mit Mighty auch im Frühjahr 2018 an ihren ersten Distanzritt über 35 km auf dem Darß. Zunächst wollte die Cheftierärztin dem blinden Pferd keine Starterlaubnis erteilen. Mit viel Überredungskraft und „auf eigene Verantwortung“ durften Rabea und Mighty schließlich doch noch auf die Strecke. Alles ging gut. In der darauffolgenden Saison bestritten sie drei weitere kleine Distanzritte und wagten sich 2020 schließlich in Trechwitz mit Erfolg an die 80 km. In Zukunft sind jedoch nur noch kürzere Distanzen geplant. Sieben Trächtigkeiten haben ihre Spuren bei der nunmehr 19-jährigen Stute hinterlassen, und ihre Reiterin möchte sie nicht überfordern. Die Ritte sollen Spaß machen, Mightys Lauffreude erhalten und ihr die Möglichkeit geben, diese mit Unterstützung ihrer Reiterin auszuleben. „Mighty hat ihren eigenen Kopf. Auf der ersten Runde will sie sich partout nicht überholen lassen, da habe ich keine Chance!“ Noch einmal unterstreicht Rabea das immense Selbstbewusstsein der Stute und beendet das Gespräch mit einem Plädoyer für blinde Pferde. Sicher benötigten sie am Anfang Hilfe bei ihrer Neuorientierung. Doch weder seien sie hilflos noch zu bemitleiden. Auch mache sie ihr Handicap nicht orientierungslos. Mit Nase, Ohren und einem sehr genauen Gespür für Beschaffenheit und Veränderungen des Geläufs können Sie den Verlust ihrer Sehkraft kompensieren. „Und sie sprühen vor Lebensfreude!“
Rabea Müller hat neben ihrem Hauptberuf eine Ausbildung zur Reittherapeutin, zum Coach und zur Systemischen Beraterin gemacht und widmet sich mit großem Engagement der Ausbildung blinder Pferde.
Aufgezeichnet von Miriam Lewin
2021 – Distanzreiten in Brandenburg
„Distanz aktuell“ im Frühjahr 2021
Zugegeben, spektakuläre Landschaften haben wir nicht, aber vielerorts ist es „einfach schön“! Auch das Geläuf ist größtenteils gut. Da kann es schon einmal kilometerlang über Wiesen, federnde Waldwege und sandige Feldwege gehen. Berge haben wir keine, und selbst hügelige Passagen sind selten. Am ehesten findet man sie noch im Endmoränenzug des Barnim, wo die Elchdistanz und der Britzer Distanzritt ausgetragen werden. Aber auch diese Ritte sind in großen Teilen ihrer Streckenführung flach. Das ist vor allem auch für Distanzfahrer attraktiv. Und einige Veranstalter widmen sich dem Fahrsport mit besonderer Hingabe. Stellvertretend seien hier Jannike Linder im Ruppiner Land oder Judith Schillmann genannt. Auch von offizieller Seite aus hat es der Distanzsport leicht in der Region. Ein liberales Waldgesetz schränkt das Reiten kaum ein. Und der Landesverband Pferdesport unterstützt die Disziplin wie wohl kein zweiter in Deutschland, genehmigt allerdings auch keine Veranstaltung ohne Impfpflicht.
Trotz der geringen Höhenmeter sollte man die Herausforderungen der vielen naturbelassenen Wege Brandenburgs nicht unterschätzen. Manchmal ist der Sand tief. Wurzelige Waldwege sind alles andere als „Endurance-Autobahnen“. In Neustadt (Dosse) ging es oft an alten Bewässerungsgräben entlang, aus denen nur allzu gerne Enten aufflatterten. Und nicht zuletzt werden auch in Brandenburg Waldwege zunehmend geschottert. Somit gehören die reinen Barhuf-Veranstaltungen leider weitgehend der Vergangenheit an.
Bei Distanz-Veranstaltern und Veranstaltungen gab es gerade in letzter Zeit einige Umbrüche. Traditionswettbewerbe, die jahrelang fest im Veranstaltungskalender standen, wie Angermünde oder Kagel, gibt es nicht mehr, dafür sind andere hinzugekommen oder werden 2021 erstmals auf dem Programm stehen, wie Glau oder die Roggenfeldhof-Distanz in Bruchmühle.
Oberhavel
Ich beginne auf „zwölf Uhr“, im nördlichsten Landkreis Oberhavel und werde mich im Uhrzeigersinn einmal um die Hauptstadt herumarbeiten. Nur wenige Kilometer südlich der Landesgrenze zu Mecklenburg, liegt der Stechlinsee, eingebettet in eine idyllische Wald- und Moorlandschaft. Hier gibt es viel unberührte Natur, sogar Fichtenwälder und das, was Brandenburg üblicherweise ausmacht: Mischwälder, Felder und Alleen. Hier waren jahrelang zwei Distanzveranstaltungen verortet: die „Zernikower Gutsdistanz“ und „Stechliner Forst“. Zernikow war wegen seiner familiären Atmosphäre und des spektakulären Ambientes auf Gut Zernikow beliebt. Leider hat sich Gerlind Groß nach einem „Abschiedsritt“ von Britz nach Zernikow 2019 aus den Reihen der Veranstalter verabschiedet. Der Ritt „Stechliner Forst“, im zwölf Kilometer westlich gelegenen Dollgow bleibt jedoch bestehen und wird 2021 sogar als Landesmeisterschaft ausgetragen werden. Der Reiterhof Kunkel ist mit eigener Gastronomie ein professioneller Gastgeber.
86 km lang ist die Rittstrecke von Zernikow nach Britz im Nordosten Berlins. Die Veranstalter des seit Jahrzehnten etablierten „Britzer Distanzrittes“ haben vor einigen Jahren den Staffelstab an die jüngere Generation übergeben. Doch seitdem einige Flächen nicht mehr verfügbar sind, schwankt die Veranstaltung und wird 2021 nicht ausgetragen. Die Verbindung zwischen den beiden Orten führt durch die von Schifffahrtskanälen und Bewässerungsgräben durchzogene Obere Havelniederung. Hier hatte auch einige Jahre lang der Förster Sebastian Kottwitz im eigenen, dicht bewaldeten Revier bei Kreuzbruch einen Ritt ausgeschrieben, der vielleicht wieder ins Leben gerufen werden könnte. Da sich niemand im eigenen Wald so gut auskennt wie der Förster selbst und wenn dieser auch noch reitet, kann die Streckenführung nur gut werden! Zumal feste Markierungen hier ein Verreiten zumindest sehr erschweren!
Barnim
Eine Runde des Kreuzbrucher Rittes war zuweilen auch Bestandteil der Elch-Distanz in Ützdorf, ein Ritt, der teilweise recht tiefe Sandböden aufweist, aber auch – wir erinnern uns: Endmoräne! – ein paar hügelige Passagen. Die Tierärztin Jana Scheffel ist hier Gastgeberin auf ihrem Trakehner Gestüt „Elchniederung“, wo im großen Boxenstall immer ausreichend Platz für Paddock-Muffel ist. Mit drei Ritten im Jahr rockt sie den Brandenburger Veranstaltungskalender. Leider muss hier markiert und abmarkiert werden, was nicht immer zu schaffen ist, sodass auch öfter einmal Kartenritte ausgeschrieben sind.
Auch hier überschneiden sich die Runden mit jenen der weiter östlich in Rüdnitz ausgetragenen Veranstaltung, die sich über ein Vierteljahrhundert lang am ersten Mai-Wochenende gehalten hat und für viele Reiter der Region die ideale Saisoneröffnung war, jüngst jedoch einige Male ausfiel, 2021 aber wieder stattfinden soll. Die Landschaft wird hier offener. Mischwald und Kieferngehölze, aber auch weite Felder und Weiden lösen einander ab. Windmühlen scheffeln Strom und werfen zuckende Schatten über die Felder. Auch daran muss ein Pferd sich gewöhnen.
Märkisch Oderland
Weiter wandert unser Zeiger nach Osten und steht nun bei drei Uhr. Hier fand Jahrzehnte lang auf dem Hof des ehemaligen Landestrainers Wolfgang Barth der am weitesten im Osten Deutschlands verankerte Distanzritt Deutschlands statt. Nun hat der Veranstalter sich aus Altersgründen aus dem Sport zurückgezogen. Dreißig Kilometer weiter westlich Richtung Berlin, nahe am Speckgürtel, hatte die Altlandsberger Veranstaltung ihren festen Platz. Aber auch hier hat die Initiatorin Regine Markowitsch vor einigen Jahren beschlossen, kürzer und nur noch als Distanz-Tierärztin in Erscheinung zu treten. Diskrepanzen mit der Forst, die das Reiten zuletzt nur noch auf kilometerlang geschotterten Wegen gestatten wollte, sind mittlerweile behoben, und so möchte sich 2021 das Team vom Roggenfeldhof im benachbarten Bruchmühle der Herausforderung stellen, ihre Starter über den Altlandsberger Acker oder durch Fredersdorfer Vorort-Straßen in die unbegrenzten Wälder um Bötz- und Fängersee zu schicken.
Übrigens startete in diesem Landkreis, in Münchehofe, in den 90er Jahren auch die einzige Veranstaltung, die nicht in Brandenburg, sondern größtenteils in den Berliner Forsten geritten wurde. Veranstalterin war die 2003 verstorbene Sieglinde Dick, Brandenburger Distanz-Urgestein und Weltmeisterschafts-Teilnehmerin 1988.
Dahme-Spreewald und Potsdam-Mittelmark
Zwar gibt es seit 2018 den Frühjahrsritt in Märkisch Buchholz nicht mehr, doch wird im Süden Berlins im kommenden Juni nun erstmals die Glau-Distanz ausgetragen. Ein Blick auf die Karte lässt uns Mischwälder, Kuhweiden, Rieselfelder und Äcker vermuten. Die Kuhweiden erwiesen sich in diesem Jahr bei der Erstveranstaltung in Trechwitz bei Kloster Lehnin im Westen Berlins offenbar als echte Herausforderung für manches Pferd. Sonst aber fanden die Strecken des Rittes, der in der kommenden Saison zweimal wiederholt werden soll, großen Anklang, ebenso das Ambiente des Biohofes zum Mühlenberg.
Havelland
Noch einmal spannend wird es bei Veranstaltungen nord-westlich der Hauptstadt. Das „Mut-zur Strecke“-Team um Landestrainerin Michaela Wilczek hat im Berlin-nahen Schönwalde/Glien eine ganze Serie von Ritten aufgelegt. Laubwälder, Feld- und Wiesenwege, oft überschattet von alten Bäumen, prägen hier die Landschaft.
Und auch das Potenzial für internationale Ritte und Deutsche Meisterschaften liegt in dieser Ecke Brandenburgs. In Bötzow, noch innerhalb des Berliner Autobahnringes hatte Familie Borowicz ihre Veranstaltungsreihe begonnen, den Ritt recht bald von der „Grünen Wiese“ in Bötzow auf den Eichenhof in Perwenitz verlegt, wo auch der erste CEI stattfand und 2013 dann schließlich die Deutsche Meisterschaft und ein 3-Sterne-CEI, der die Infrastruktur des MAFZ Erlebnisparks im benachbarten Glien nutzte. Bleibt zu hoffen, dass der derzeitige Präsident des VDD, sollte er dieses Amt einmal niederlegen, wieder Zeit findet, das beliebte Event erneut zu veranstalten.
Ostprignitz-Ruppin
Kaum zu überbieten für Mensch und Pferd ist sicherlich das Ambiente das Haupt- und Landgestüts Neustadt (Dosse). 1990 hatte es dort bereits eine Deutsche Meisterschaft gegeben und auch später noch viele Jahre hindurch einen Ritt im Rahmen des VZAP-Championates, bis dieses eingestellt wurde. 2015 legte das Team um Juliette Mallisons „Mitteldeutschlanddistanz“ den Neustädter Distanzritt wieder auf, drei Jahre lang, gekrönt von einem 3-Sterne CEI und der Deutschen Meisterschaft 2017. Leider ist die Beziehung zwischen dem Gestüt und den Distanzreitern fragil. So bleibt nur zu hoffen, dass das Verhältnis irgendwann gesundet, damit wir wieder die von altem Baumbestand beschatteten Alleen, an Pferdekoppeln und Heuwiesen entlang galoppieren können. Eine Ahnung davon bekommt man immerhin beim Start des Gestütsweges, der jeden Herbst als Mehrtagesritt nach Karte ausgetragen wird und vom Brandenburger Haupt- und Landgestüt zum Mecklenburger Landgestüt Redefin führt.
Je höher man nach Norden kommt, desto weiter wird das Land in der Prignitz, kann der Blick beim Reiten – und besonders im Frühjahr, wenn die Veranstaltung im Ruppiner Land stattfindet – über Felder, Weiden und Wiesen schweifen. Ein buntes Land ist das im Frühsommer, wenn rot die Mohnfelder blühen, gelb der Raps, noch grün Getreidefelder wogen, blau der Himmel sich in Flüssen und Seen spiegelt: Brandenburg eben. Und mit ein wenig Glück sieht man dann sogar den märkischen Adler kreisen.
Miriam Lewin
2019 – Martin Grell – Interview mit dem Kadertierarzt
„Reiten und Zucht“ 10/2019
RuZ:
Der ursprüngliche Anlass für dieses Interview war deine Berufung zum Teamtierarzt des Berlin-Brandenburger Landeskaders im letzten Jahr. Jetzt hat sich die Situation etwas verändert.
MG:
Es kamen die Reiter des Bundeskaders auf mich zu und fragten, ob ich wieder als Teamtierarzt zur Verfügung stehen würde. Kurz darauf wurde ich auch vom DOKR gefragt.
RuZ:
Du warst schon einmal Tierarzt des Championatskaders von 2002 bis 2006 …
MG:
Genau, während der Weltreiterspiele in Spanien, der WM in Dubai, der EM in Irland und der Weltreiterspiele in Aachen.
RuZ:
Wie war da die Bilanz?
MG:
In Jerez haben wir es immerhin geschafft, alle sechs Pferde in Ziel zu bringen. In Punchestown und Aachen gab es jeweils einen vierten Platz für die Mannschaft.
RuZ:
Im Juli 2019 hat Deutschland bei der Endurance-EM in England Team-Bronze geholt, das hatte aber auch schon einmal 2010 in Kentucky geklappt …
MG:
… wo ich jedoch auch dabei war. Dort habe als privater Tierarzt von Dr. Gabriela Förster mit Priceless Gold das schnellste deutsche Pferd betreut.
RuZ:
Diesmal kam die Teamleistung ohne viertes Pferd zustande …
MG:
Andere Nationen sind sogar mit fünf Pferden an den Start gegangen, um dann am Ende drei für die Mannschaftswertung im Ziel zu haben. Wir aber mussten alle unsere drei Starter durchbringen.
RuZ:
Wie kann man sich die Betreuung der Pferde durch dich als Teamtierarzt im Vorfeld eines solchen Championats vorstellen?
MG:
Sehr wichtig ist die Kooperation mit den Haustierärzten. Es werden regelmäßig Blutproben genommen und zu mir geschickt. Es werden auch alle 2-3 Monate Fotos gemacht, damit man die körperliche Entwicklung verfolgen kann. Letztlich hatte ich die Championatspferde schon seit drei Monaten, unter anderem auch auf der DM, betreut und mit den Reitern festgelegt wie die Marschrichtung bis zur Europameisterschaft aussehen soll.
RuZ:
Eine direkte Leistungsüberprüfung der Pferde außerhalb der Wettbewerbe lässt sich doch aber sicher beim Landeskader einfacher realisieren als beim Bundeskader?
MG:
Schon seit letztem Jahr bieten wir jährlich drei-vier betreute Trainingseinheiten an, wie z.B. im letzten Monat ein 50-km-Trainingsritt, bei dem davor und danach Blutwerte genommen wurden. Während des Rittes wurde getestet, wie schnell die Pferde mit entsprechender Kühlung regenerieren. Und ganz wichtig ist es, immer wieder die Gesamtheit überprüfen! Dazu zählen auch der Beschlag, der Sattel und die Fitness des Reiters. Ich kann oft wertvolle kleine Tipps geben, meist geht es um die Feinabstimmung.
RuZ:
Gerade im Hochleistungssport wird vielfach versucht, den Pferden zusätzlich zu helfen. Ich rede nicht von Doping, aber da gibt es hier mal was für den Magen vorm Transport oder dort erhalten alle Pferde, die vom Schiff oder aus dem Flugzeug kommen, grundsätzlich eine Infusion mit Kochsalzlösung. Die einen begrüßen das, die anderen sagen, wenn mein Pferd vor dem Wettbewerb schon am Tropf hängt, ist das ein Armutszeugnis. Wie siehst du das?
MG:
Dazu mal ein Beispiel: Ein Grund dafür, dass letztes Jahr bei den Weltreiterspielen in Tryon so viele Distanzpferde ausgefallen sind, war der, dass die das chlorierte Wasser in den USA nicht getrunken haben. Da haben viele Reiter einfach nicht geschaltet und gesagt: Wenn mein Pferd nicht trinkt, es aber die Leistung bringen soll, muss ich ihm helfen – oder ich muss auf den Start verzichten! Aber mit einem bereits dehydrierten Pferd an den Start zu gehen, ist meines Erachtens tierschutzwidrig.
RuZ:
Zum Thema Elektrolyte, auch das wird ja kontrovers diskutiert …
MG:
In der Regel braucht ein Pferd bis 80 oder 120 km so etwas alles nicht. Bei 160 km geht es dann aber an die Reserven. Vielerorts werden leider täglich Elektrolyte zugefüttert. Dadurch bringt man jedoch das Hormonsystem, das den Mineralstoffhaushalt reguliert, zum Erliegen, denn es ist ja immer alles da. Wenn das Pferd jetzt Leistung bringen soll, ist dieses System einfach nicht mehr aktiv. Und was die wenigsten wissen: Das Pferd hat bei hoher Leistung einen erhöhten Kalziumverbrauch. Das Kalzium wird aber nicht, wie man fälschlicherweise annehmen könnte, über den Schweiß abgesondert, sondern durch die bessere Durchblutung über einen längeren Zeitraum in die Knochen eingelagert. Es fehlt aber dann im Blut. Pferden, die regelmäßig Muskelprobleme haben, kann es guttun, wenn sie zwei-drei Tage vor dem Ritt Kalzium bekommen. Mit dauerhaften Kalziumgaben würde man jedoch wiederum das Regulationssystem lahmlegen.
RuZ:
Was läge dir selbst noch am Herzen als Schlussplädoyer?
MG:
Seitens des LPBB ist es bundesweit einmalig, dass es einen Landeskader Distanzreiten und seit diesem Jahr einen Teamtierarzt gibt. Unsere kontrollierten Trainings haben so großen Zuspruch, dass Jugendreiter aus anderen Bundesländern nun auch versuchen, nach Brandenburg zu wechseln oder nach dem Vorbild des LPBB eine Zusammenarbeit mit ihren Landesverbänden zu aktivieren.
Das Gespräch führte Miriam Lewin
2018 – Landestrainerin Michaela Wilczek: Mit dem Willen zur Weite
„Reiten und Zucht“ 7/2018
Michaela Wilczek ist aus Überzeugung ehrenamtlich tätig und setzt als Diplom-Kauffrau ihre Fähigkeiten als 1. Vorsitzende im Reitclub Grunewald e.V. (RCG) erfolgreich ein. Der Verein hat unter ihrer Leitung in den letzten Jahren immer wieder positiv von sich Reden gemacht, vor allem durch soziale Projekte und guten Breitensport, aber auch im Leistungssport: Die Vize-Weltmeister im Doppel-Voltigieren der Junioren sind hier beheimatet. Wichtig ist Michaela Wilczek dabei immer der hohe gesellschaftliche Mehrwert des Miteinanders im Verein.
Die Landestrainerin Distanzsport zeichnet sich explizit durch ihre Offenheit allen Disziplinen gegenüber aus. Die Skala der Ausbildung steht für sie im Zentrum, natürlich auch als Leitlinie für die Arbeit mit den eigenen Pferden – aber ebenso der Spaß beim Reiten in der Natur und beim täglichen Training. Man kann die passionierte Sportlerin auch um 6 Uhr vor oder um 21 Uhr nach ihrer Arbeit im Stall treffen. Und Hündin Bella ist immer dabei. Durchhaltevermögen zeigt sie sowohl im Job als Beraterin in der politischen Kommunikation als auch beim Distanzreiten.
Die interdisziplinäre Kommunikation im Pferdesport fällt der Berlinerin, die erst als Erwachsene in den Distanzsport eingestiegen ist, leicht. Bescheiden nennt sie den „gehobenen Breitensport“ als ihre reiterliche Herkunft. Das war es auch, wofür sie ihren DSP C’est la vie gekauft hat. Der heute 15jährige Warmblüter ging aber am liebsten ins Gelände und zeigte erst bei Distanzwettkämpfen sein wahres Talent. Diese gemeinsame Passion gipfelte in einer CEI2*-Platzierung über 120 km. Dafür erhielt der Wallach das Präfix „DSP“ vom Zuchtverband. Mittlerweile trainiert Michaela Wilczek noch ein Nachwuchspferd, den 6jährigen, rennbahnerprobten Vollblutaraber Gold Boy. Er siegte im April bei seinem ersten MDR über 80 km – ein wichtiger Schritt zur CEI-Qualifikation.
Während ihr Vorgänger Wolfgang Barth nur für die Jugend zuständig war, ist Michaela Wilczek für das gesamte Spektrum des Distanzsportes verantwortlich und somit ebenso für die Senioren und für die Fahrer. Hier hat sie sich für die Landes-Fahrermeisterschaft stark gemacht, mit Erfolg: Nach einigen Jahren Pause wird im August im Ruppiner Land erstmals wieder eine LM Distanzfahren durchgeführt werden – zunächst über moderate 66 km, um möglichst viele Fahrer zur Teilnahme zu motivieren.
Natürlich steht darüber hinaus die Jugendarbeit im Fokus der Landestrainerin. „Ich halte es für wichtig, dass sich die Jugend nicht nur regional, sondern ebenso bundesweit vernetzt“, sagt sie in Hinblick auf das VDD-Jugendcamp vom 28. Juli bis 1. August im niedersächsischen Holzerode, das sie gemeinsam mit Anne Wegener (VDD-Präsidiumsmitglied und Deutsche Meisterin Distanzreiten 2017) leiten wird, und an dem auch einige Jugendliche aus Berlin-Brandenburg teilnehmen werden. Wichtig ist ihr neben der Kaderbetreuung aber auch, über den Breitensport neue Talente in der Region zu finden und die Fördergruppe weiter aufzufüllen. Dazu sollen insbesondere kürzere Ritte wie der von ihr initiierte Distanzwettbewerb „Mut zur Strecke“ dienen. Große Chancen sieht sie in einer Intensivierung des Dialogs mit Eltern und talentierten Jugendlichen. „In unserem Sport haben wir ja keine klassische Heimtrainer-Struktur. Daher sehe ich meine Aufgabe darin, Impulse zu geben und zu vernetzen“, erläutert Michaela Wilczek. „Eine neue Struktur muss langsam wachsen. Und sie muss mit den Menschen zusammen entstehen. Hier versuche ich durch Lehrgangsangebote, Vorträge und Treffen Anreize zum Austausch zu setzen.“
Michaela Wilczek sieht ihre Aufgabe neben der klassischen Betreuung des Leistungssportes in der Motivation aller Distanzsportler – egal ob Schnupperreiter oder Quereinsteiger, ob Hobbyreiter oder Leistungssportler, ob Kilometersammler oder CEI-Anwärter, mit Shetty-Kutsche oder Traber-Sulky, Tinker oder Araber … „Gerade unsere Disziplin ist in ihren Ausprägungen so bunt. Jeder sollte sich ausprobieren. Und dafür braucht es anfangs noch kein Kader- oder Langstreckenpferd. Hier gibt es dann aber auch die Möglichkeit, Talente zu erkennen und bei Interesse und Eignung für den Leistungssport entsprechend zu fördern.“
Was sie sich wünschen würde? – Dass in Bezug auf die Ausbilderstruktur noch stärker aufgesattelt wird im Distanzsport! Gerade hier, weiß sie, gibt es viele Förderer, die nicht unbedingt einen Trainerschein haben, sich aber sehr stark engagieren, beispielsweis in der Jugendförderung. Diese wichtigen Multiplikatoren will sie stärker bündeln und in Aktivitäten einbeziehen. Sie möchte bessere Lehrgangsangebote schaffen und mehr Theoriewissen vermitteln, zum Beispiel was die Einschätzung der Kondition des Pferdes für eine bestmögliche Wettkampfvorbereitung angeht. „Die Reiter möchten sich weiterbilden!“, berichtet sie aus Erfahrung. „Und sie merken, dass Rittigkeit auch ein Wettkampfvorteil ist!“
„Das Tolle an unserer Disziplin ist, dass wir sehr mutige, pferdeorientierte Reiter haben“, betont die Landestrainerin, „Distanzreiter sind in der Lage, ihre Pferde mit dem Tierschutzgedanken im Vordergrund einen ganzen Tag lang im Wettkampf zu reiten, zu beobachten und zu betreuen. Dazu braucht es viel Wissen und diszipliniertes Training im Vorfeld. Wir können sehr viel von anderen Pferdesportdisziplinen lernen, aber wir haben auch eine Menge zu bieten!“
Miriam Lewin
2018 – Rilana Sansour, Landesmeisterin Distanzreiten 2017
„Reiten und Zucht“ 3/2018
Dass Rilana Sansour und ihre heute 13jährige Traberstute Gretna Green in der vergangenen Distanzsaison das Zeug zum Landesmeister haben würden, hatte sich spätestens bei deren gemeinsamem Auftritt beim CEI-Wochenende in Neustadt (Dosse) gezeigt. Da hatten sie als bestes Brandenburger Paar mit 14 km/h Platz drei beim nationalen 86-km-Ritt belegt. Sechs Wochen später passte der 120er LDR in Britz genau in die Wettkampfplanung. Dass der Ritt als Landesmeisterschaft ausgeschrieben war, erschien Rilana eher nebensächlich. Es sollte der erste LDR über mehr als 100 km für die Stute werden, und dann passte eben alles. Mit 45 min Vorsprung holte sie den Landesmeister-Titel vor einem prominent besetzten Teilnehmerfeld. „Wenn ich gewusst hätte, dass ich so weit vorne liege, wäre ich die letzte Runde viel ruhiger angegangen“, kommentiert die Reiterin. Und beinahe wichtiger als die Schärpe war ihr die zusätzliche Auszeichnung von Gretna Green mit dem Konditionspreis für das fitteste Pferd am Tag nach dem Wettbewerb. – Dabei hatte es für Gretna Green im Jahr davor alles andere als rosig ausgesehen. Bei einem Verladeunfall hatte sie sich einen Griffelbeinbruch zugezogen, der operiert worden war. Danach erfolgte ein behutsamer Neuaufbau des Pferdes. „Ich hätte auch 2016 zum Saisonende hin schon wieder mit ihr starten können“, sagt Rilana“, aber ich wollte nichts riskieren.“ Auch in dieser Formulierung schwingt Umsicht mit. Rilana hat die Traberstute 5jährig gekauft und behutsam trainiert. Die liebevoll „Grete“ und weniger liebevoll „Grete Grausam“ Genannte ist kein einfaches Pferd. Einer der ersten Auftritte des Pferd-Reiter-Paares in der Distanzwelt war ein Lehrgang bei Dressurausbilder Ralf Döringshoff. Da musste Rilana die Reitstunde abbrechen, weil sich „Grete Grausam“ nur noch mit allen Vieren in der Luft befand. „Sie weiß was sie will“, bemerkt Rilana, „und was sie nicht will.“ – „Vielleicht einmal bis 60 Kilometer gehen“, war ihr Ziel gewesen, als sie die große Braune 2010 aus dem Trabrennsport übernahm. Der Weg zur langen Strecke führte über Mehrtagesritte, die meist eher Wanderritt-, als Wettkampfcharakter haben. Bewusst langsam geritten sei sie in den ersten zwei Jahren. „Grete“ ist ein geborener Fünfgänger. Wenn sie unaufmerksam oder aufgeregt ist, bringt sie Pass, Tölt, Schritt, Trab und Galopp durcheinander. Rassebedingt absolviert sie das größte Pensum am liebsten im Trab. – Mit den Trabern ist Rilana groß geworden, beim Vater auf der Trabrennbahn. Ihr erstes Pferd bekam sie mit 16, Reitunterricht hat sie sich selbst zusammengespart, indem sie Verleihpferde pflegte. Als sie 20 war, kam der damals 5jährige Araber-Norweger-Wallach Casanova zu ihr, ein Endmaßpony, das unter seiner viel zu großen Reiterin die Richter im Turniersport alles andere als beeindruckte. Sie verkaufte ihn – und kaufte ihn zurück, als er bei seiner neuen Besitzerin bereits einmal totgesagt worden war. Dann erst, mit dem 22jährigen, startete sie bei ersten Distanzwettbewerben und bestritt zwei erfolgreiche Saisons, bevor sie den Wallach in den Ruhestand schickte, den der nunmehr 27jährige auf der Weide verbringt.
Insgesamt sieben Distanzpferde stehen im Offenstall bei Nassenheide bei Rilana Sansour und ihrem Lebensgefährten Uwe Schiller, der von Haus aus Hufschmied ist. Knackig kurz und schnell liebt Uwe seine Wettbewerbe, während Rilana ihre Pferde eher nachhaltig für die lange Strecke aufbaut. Wem gerade welches Pferd zuzuordnen ist, variiert in einigen Fällen – nicht aber bei Gretna Green, auf die lässt Rilana nichts kommen, auch nicht ihren Uwe. Mit den Trabern scheint die beiden Reiter eine Art zärtliche Hassliebe zu verbinden. Auch Uwes Kazaam verfügt über einen wenig schmeichelhaften Spitznamen, und dann ist da noch Senior Carinjo. Hart sei sie, diese Rasse, da sind Rilana und Uwe sich einig, und zwar in jeder Hinsicht: harte Gänge, hart auf den Beinen, hart im Nehmen, aber auch viel klarer im Kopf als die Englischen Vollblüter, die als nächstes angeschafft wurden. Das sind Uwes schicker Riesenrappe Sharivar sowie der elegante Readyspice und die kleine Kölner Princess aus dem Stall von Galoppertrainer Roland Dzubacz. Rilana liebt die Englischen Vollblüter ebensoso sehr wie sie ihr auch Kopfzerbrechen bereiten. Den übermütigen und manchmal unberechenbaren Readyspice hat sie schließlich an Uwe abgetreten. Inzwischen hat sich herausgestellt, dass Kissing Spines die Ursache für seine Buckeleskapaden sein könnten. Noch überlegt Rilana, ob sie sich der – auch zeitlich – anspruchsvollen Aufgabe stellen will, den Wallach seiner Erkrankung gemäß zu gymnastizieren und zu reiten. Der Gedanke, sich von ihm zu trennen, fällt ihr schwer. Aber dann ist da auch noch Kölner Princess, die sie als Zweitpferd aufbauen möchte. Nachdem die zierliche Fuchsstute 2015 zu ihr gekommen war, erlag sie beinahe einer Weidevergiftung. Es folgten eine lange Rekonvaleszenz und zwei erste Einführungsritte im Jahr 2017. Doch auf der langen Strecke sieht Rilana die Stute eher nicht. „Die meisten Vollblüter sind auf Dauer nicht belastbar genug“, so ihre Einschätzung, „ihnen fehlt die Härte.“ So werden große Ziele primär mit den Trabern angestrebt, mit Gretna Green an erster Stelle, vielleicht auch mit Kazaam. Behutsam, ganz nach Rilanas Konzept, erfolgt „Gretes“ Saisoneinstieg im Februar – über 25 Kilometer.
Miriam Lewin
2018 – Carla Lakenbrink und der Tevis-Cup
„Reiten und Zucht“ 2/2018
Carla Lakenbrink ist 23 Jahre alt und studiert Medizin im achten Semester an der Berliner Charité. Im Jahr 2011 wurde sie mit Pony Jasper Berlin-Brandenburger Jugendmeisterin im Distanzreiten. Sie war einige Jahre lang Mitglied im D-Kader, hatte Statistiken angeführt und sich brav und irgendwie unauffällig mit dem von Mara Schima zur Verfügung gestellten Schimmelpony, Stockmaß 138 cm, über die langen Strecken gekämpft. Dann plötzlich, im Jahre 2015, war sie von den VDD-Ergebnislisten verschwunden, während Jasper mit anderen Reitern unterwegs war. – Im Dezember 2017 taucht Carlas Name wieder auf – und zwar als Dritte im Landepokal und als aktivste Reiterin mit 1.704 Jahres-Kilometern – zusammengeritten in Utah, Colorado, Nevada, Wyoming, Arizona und Kalifornien. Hätte sie im August den Tevis Cup bezwungen, bekannt als der „berühmteste und schwierigste Distanzritt der Welt“ (so die Tevis-Homepage), wären es 1.864 Kilometer gewesen. Zwei Wochen später wurde sie Vierte bei den AERC (American Endurance Ride Conference) National Championships in Colorado, wobei sie am Tag vor dem Hundertmeiler noch eben 80 Kilometer mit einem anderen Pferd absolviert hatte.
Carla war 17, als im Jahr 2011 ein Distanzreiter auf dem Regionaltreffen in Potsdam einen Bildvortrag über seine Ritterfahrungen in Utah hielt. Carla war überwältigt – da wollte sie hin! Ein halbes Jahr später (sie hatte gerade ihr Abi in der Tasche) nahm sie Kontakt mit Christoph Schork auf. Der gebürtige Deutsche, der vor vielen Jahren in die USA ausgewandert ist, betreibt dort sein „Global Endurance Training Center“, das, wie er es selbst beschreibt, „spezialisiert ist auf Auswahl, Training und Zucht außergewöhnlicher Pferde, die im Distanzsport bestechen“. Schork trainiert und vermietet Pferde gezielt auch auf den Tevis Cup hin. – Aber davon wagte Carla im Jahre 2012 noch nicht zu träumen. Sie bekam Schork ans Telefon, und der sagte nur: „Gut, kannste kommen.“ Beim ersten Mal waren es drei Monate – von Oktober bis Januar. Mit Winter hatte sie in der Wüste nicht gerechnet. „Wir hatten -20°C und Schnee ohne Ende, und ich habe viele Morgen damit verbracht, die Wassertröge vom Eis zu befreien.“ Trotzdem wollte sie wieder hin. Im Sommer. Und im Jahr darauf, und im kommenden Jahr wieder. „So hat sich eine Freundschaft entwickelt. Einmal im Jahr komme ich vorbei.“ In Moab, Utah. 2017 wollte sie eigentlich als Erasmus-Studentin in die Türkei, doch die politische Entwicklung dort hielt sie davon ab. Ihr Vater brachte sie schließlich auf die Idee: „Du hast doch ständig von diesem Tevis erzählt. Wenn du den reitest, dann komme ich und trosse dich.“ Damit war das Urlaubssemester beschlossene Sache. Sechs Monate mussten es schon sein. „Ich wusste, dass der Tevis schwieriger sein wird als alles, was ich kenne, dass ich Zeit brauchen würde, um mich vorzubereiten. Wenn du dort in der Wüstenhitze bei 40 Grad oder auf 2.000 m Höhe reitest und die Berge hochrennst, dann merkst du, dass du hier aus dem grünen Flachland kommst. Viele Basecamps liegen schon auf über 1.000 m Höhe, und von dort geht es auf 2.000 bis 3.000 m hinauf. Auf einem der ersten Ritte, dachte ich zunächst: ‚Warum liegt hier nur Schnee?‘ – Und dann: ,Warum geht es mir plötzlich so schlecht?‘ – Das war nach einem langen, steilen Anstieg. Wir waren fast alles neben dem Pferd hergelaufen. Christoph schaute mich an und sagte: ‚Das passiert selbst den Profis. Du steigst jetzt auf und trinkst alles Wasser, was du dabei hast. Wie hoch liegt eigentlich nochmal Berlin?‘ Ich sagte: ‚Schätzungsweise 35 Meter über dem Meeresspiegel.‘ – ‚Gut‘, sagte er, ‚wir sind hier auf 10.000 Fuß, das sind 3.050 Meter, und du sagst bitte Bescheid, bevor du vom Pferd fällst.‘ Da habe ich zum ersten Mal begriffen, dass man auch lernen muss, sich selbst zu managen. Ich hatte viel zu wenig getrunken.“
Beim Tevis darf die Crew nur selten an die Strecke heran. Es gibt nur zweimal eine Stunde Pause. Von Christoph hatte Carla gelernt: Die Uhr tickt immer. Natürlich muss dein Pferd Zeit zum Fressen haben, aber du darfst nicht hier eine Viertelstunde und da zehn Minuten stehenbleiben, dann fehlt dir am Ende die Zeit. Jedes Jahr werden Reiter wegen overtime disqualifiziert. Die 160 km müssen inklusive zweimal 60 min Pause in 24 Stunden bewältigt werden; zudem gibt es Zeittore für die einzelnen Streckenabschnitte. Begeistert beschreibt Carla die Atmosphäre in den Vetchecks: „Du kommst da rein in Robinson Flat oder Foresthill, kommst du diese Straße hochgeritten und da stehen Menschenmassen! Und du denkst, hey, wir sind hier wirklich wichtig! Es gibt Tausende an freiwilligen Helfern in diesen Stopps, wo du niemanden siehst von deinem Team. Die reichen dir Wassermelone, Kekse, Mash für dein Pferd, hier Karotten, da Heu oder Luzerne, was möchtest du haben, alles … da sind die Toiletten, gib uns mal deine Wasserflaschen, wir füllen die auf und dann gehst du zum Tierarzt …“
GE Starlit Way heißt der 14jährige Araberwallach, mit dem Carla ihren ersten Tevis in Angriff genommen hat. „Starlit ist mit 1,52 cm ziemlich kompakt, das mag ich, so einen kleinen Motor unter mir.“ Und: „Natürlich hoffst du, ins Ziel zu kommen. Aber früh morgens im Dunkeln bist du erst mal froh, wenn du den Massenstart mit 200 Pferden überstehst. Das war auch einer der Gründe, weshalb ich Starlit reiten wollte. Von dem wusste ich: Der will einfach nur laufen und stellt nicht noch irgendwas an. Er hatte den Tevis schon zweimal gemeistert. Mit dem Pferd fühlte ich mich sicher. Gescheitert sind wir bei 85 Meilen letztlich aufgrund einer Lahmheit, die durch eine Scheuerstelle bedingt war. Zwar war ich zu dem Zeitpunkt auch schon kaputt, aber wenn mit Starlit alles in Ordnung gewesen wäre, hätte ich es geschafft. – Ich war sehr gut vorbereitet. Ich habe alle Distanzritte mitgenommen, die ich mit Christoph reiten konnte, ich bin geschwommen, ich saß mehrmals täglich im Sattel, ich bin gerannt und Mountainbike gefahren, ich bin am Tag allein bis zu 12 km auf dem Hof gelaufen. So viel Sport habe ich noch nie in meinem Leben gemacht. Beim Tevis aber dachte ich mit zunehmender Strecke: Das schaffe ich nie!“ Das „Hoffentlich-kommen-wir-an“ reduzierte sich von Stopp zu Stopp auf „Wir-geben-unser-Bestes-und-schauen-mal-wie-weit-wir-kommen.“
Für die Teilnahme an der AERC Nationalmeisterschaft brauchte Carla 500 USA-Langstrecken-Meilen (800 Kilometer) in der Wertung, ebenso das Pferd, und sie benötigten einen gemeinsamen Hundertmeiler. Diese Voraussetzungen erfüllte die elfjährige Araberstute GE Medinah MHF. „Ich habe zunächst ein paar 50-Meiler mit ihr absolviert. Das fühlte sich gut an, und dann hat der erste Hundertmeiler am Big Horn im Juli auch super geklappt.“ – Da wusste Carla dann, dass sie ein paar Flüge umbuchen muss – um nach dem Tevis noch zwei Wochen länger zu bleiben.
Aufgezeichnet von Miriam Lewin
2017 – Alexandra und Maria Hanssen: Natürlich will ich gewinnen
„Reiten und Zucht“ 4/2017
Eine Begegnung mit den Distanzreiterinnen Alexandra und Maria Hanssen
Es ist der erste Frühlingstag, an dem ich mich mit Alexandra und Maria Hanssen, Mutter und Tochter, auf ihrer kleinen Offenstallanlage im Westen Berlins treffe. Hier betreuen sie ihre drei eigenen Stuten als Selbstversorger: Haara, die Partbred-Arabestute, mit der Alexandra 2016 den Landesmeistertitel gewonnen hat, Habibti (Haaras Tochter, ein Weideunfall mit Isländerblut) und Armangac, die Englische Vollblutstute aus dem Rennstall von Galoppertrainer Lutz Pyritz in Dresden, die eigentlich für größere Aufgaben vorgesehen war, sich aber im letzten Jahr eine böse Hufverletzung zugezogen hatte und pausieren musste.
Maria fegt die Fressplatte so sauber, als handele es sich um das eigene Wohnzimmer. Die Wochenenden und ein-zwei Nachmittage in der Woche verbringt sie hier, halt so, wie es die Schule zulässt. Maria wäre schon 2016 für die Landesjugendmeisterschaft qualifiziert gewesen, bekam aber keine Starterlaubnis, weil sie zu jung war. Im Dezember wird sie 14, deshalb ist der Kurs in dieser Saison ganz klar auf die LJM im September in Britz ausgelegt. Und Mutter Alexandra hofft, ihren Landesmeister-Titel mit einer gesunden Armangac verteidigen zu können. Die drei Stuten gehören zur Familie, ebenso wie die drei Hunde (zwei davon spanischen Windhunde von der Straße). Ihre Pferde im Wettkampf zu verheizen, ist für Alexandra Hanssen unvorstellbar. Natürlich habe sie Ehrgeiz, räumt sie ein, und sie möchte gewinnen. Aber die Auswüchse, die der professionelle Distanzsport in Ländern wie den VAE zeigt, befürchtet sie in Deutschland nicht. Der Distanzsport hier, so erklärt sie zutreffend, sei nicht kommerziell. Es gibt nichts zu gewinnen, nicht einmal Preisgelder wie im Turniersport, hingegen sind Startgebühren und Zeitaufwand extrem hoch.
Alexandra Hanssen hat auch hauptberuflich mit dem Pferdesport zu tun. Sie ist Trainer B mit Schwerpunkt Dressur und arbeitet als Reitlehrerin in der Berliner Reitschule Sinka-Weber im Grunewald. Früher sei sie auch sehr gerne Springen geritten („ich war ein richtiger Kamikaze“), hatte dann aber nicht das richtige Pferd dafür und schwenkte auf Dressur um. Aber auch hier machte ihr das Pferd einen Strich durch die Rechnung. Die in Polen gekaufte Trakehner-Angloaraberstute wurde lungenkrank, und der Tierarzt riet zu längeren Galoppaden um Gelände. „Da habe ich dann schon Distanzen trainiert ohne es zu wissen, und es hat großen Spaß gemacht.“ Zwei Freundinnen, die bereits Einführungsritte absolviert hatten, überredeten sie schließlich, auch einmal mitzumachen, und so startete sie bei ihrem ersten Einführungsritt mit dem Leihpferd Quando und gewann, weil der Warmblüter extrem gute Pulswerte hatte. Das motivierte, und sobald Haara dann alt genug war, setze Alexandra sie zunächst auf kurzen Strecken ab 55 km ein: Der erste Ritt ebenfalls ein Sieg. Über die Jahre steigerte sie – mit nicht mehr als zwei bis drei Starts pro Saison – allmählich die Anforderungen („wenn man zum ersten Mal 55 km geschafft hat, glaubt man, nie jemals 75 km zu überleben – und doch steigert man sich langsam immer weiter“). Im letztem Jahr sind die beiden schließlich bei der LM zum ersten Mal über 120 km gestartet – und wurden mit dem Titelgewinn belohnt.
Da Haara ihr Fohlen bereits 4jährig ausgetragen hatte und Habibti trotz (unbeabsichtigter) Inzucht ein korrektes, charakterlich einwandfreies Pony geworden war, stand dann auch gleich ein Pferd für Tochter Maria zur Verfügung, mit dem sie – die Berichterstatterin erinnert sich lebhaft – 2013 den eigentlich als „geführten Kinderritt“ gedachten WBO-Wettbewerb über 10 km in Zernikow im Galopp gewann. Das schien manchen Zuschauern damals übertrieben, erweckte bei anderen aber definitiv den Eindruck, dass das 9jährige Mädchen mit dem 5jährigen Pony einfach nur Riesenspaß hatte!
Mit Haara ist demnächst noch einmal Nachzucht geplant („das habe ich ihr versprochen, wenn sie mich über die 120 trägt“, sagt Alexandra Hanssen). Als Deckhengst hat sie den Partbred-Araber Grand Coleur ausgesucht, der sowohl durch Leistung als auch durch seine außergewöhnliche Farbe besticht: der Cremello-Hengst hat 2016 des VDD-Championat der 5jährigen Distanzpferde gewonnen.
Nach internationalen Ambitionen befragt, denkt Alexandra da eher an ihre Tochter: In dieser Saison soll Maria jedoch zunächst einmal die Landesjugendmeisterschaft in Angriff nehmen. Alles andere ist Zukunftsmusik.
Miriam Lewin
2015 – Erfolgreiche Warmblüter im Distanzsport
„Reiten und Zucht“ 2/15
In dieser Saison machte DSP C’est la Vie als Vorzeige-Warmblüter im Distanzsport von sich reden. Ein guter Anlass, einmal die Erfolge vor allem auch regional gezogener Warmblutpferde im Ausdauersport ins rechte Licht zu rücken.
In Kyritz von Thomas Riedel gezogen, debütierte vor einigen Jahren die auf Rubinstein I zurückgehende Rubinstein Noir-Tochter Roxy (*2000) (a. d. Frühlingsblume v. Frühlingsbote) unter Sebastian Kottwitz (Bad Liebenwalde, Brandenburg) auf internationalem Parkett und feierte ihren größten Erfolg im Jahre 2009 mit einem 5. Platz beim CEI2* über 120 km in Nörten-Hardenberg. Die eigentlich als Dressurpferd gezogene kompakte Dunkelbraune war zu klein geraten, als dass man ihr im Viereck Großes zugetraut hätte.
Der von Uwe Voigt im Anhaltinischen gezogene, jedoch beim Brandenburger Zuchtverband eingetragene Fairbanks (*1998), ein Firebird M-Sohn aus der Dancing Queen (von Da Ponte xx), wurde von Conny Schwedler (Scheibenberg, Sachsen) ursprünglich als Vielseitigkeitspferd gekauft. Er konnte seine Aversion gegen Wasser jedoch nicht überwinden. Daher suchte die Reiterin nach einer Alternative für den Einsatz des lauffreudigen Wallachs und kam so zum Distanzsport. Über 1000 Kilometer hat der Braune mittlerweile absolviert, darunter auch zahlreiche internationale Ritte, gekrönt im Jahre 2010 von einem 5. Platz beim CEI2* über 125 km im tschechischen Most.
Das Jungpferdechampionat des VDD, welches sich aus Rittigkeitsprüfungen im Viereck und im Gelände sowie einem Distanzritt zusammensetzt, wurde in zwei aufeinanderfolgenden Jahren 2011 und 2012 (bei den 6- und 7jährigen Pferden) von der Trakehner Stute Stella (*2005) gewonnen. Ihre in Klein Engersen (Sachsen Anhalt) lebende Reiterin und Züchterin Andrea Kunze hatte die Trakehner Mutter tragend vom Uckermärker xx gekauft.
Auf Trakehner in Vollblutanpaarung setzt auch Veit Koppe im sächsischen Grumbach. Sein ebenfalls selbst gezogener Sauvignon-Sohn Filou Rouge (*2003) aus der Fiepe xx, einer Vollschwester des in Ostdeutschland über viele Jahre erfolgreich wirkenden Veredlers Fierant xx, kann ebenfalls mehrere internationale Erfolge verbuchen, darunter 2012 einen Sieg beim CEI1* über 80 km in Most (CZ).
Noch nicht international, aber ebenfalls schon erfolgreich über 120 km unterwegs, und fast immer auf den vorderen Rängen, macht derzeit weit über ihre sächsische Heimat hinaus die noch lange nicht am Ende ihres Leistungsvermögens angekommene Mona Lisa Furore. Friederike Schwarz (Dresden) hatte die 2004 in Sachsen gezogene Festival Westfalia-Tochter (Westfalen) aus einer Legato-Mutter (Holsteiner) ursprünglich im Turniersport eingesetzt, bevor beide im Distanzsport ihr Zuhause fanden.
Die Liste ließe sich endlos fortsetzen und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Daher seien zum Abschluss noch zwei besonders erfolgreiche Pferde aus Brandenburg erwähnt: Der leider vor 2 Jahren eingegangene Halbblüter Perhaps (*1994), der unter Franziska Finkel im Jahre 2012 sowohl die Deutsche Meisterschaft erfolgreich bestritt als auch Brandenburger Landes-Vizemeister wurde, sowie die Holsteiner Stute Christobalita (*1988), ebenfalls einstige Brandenburger Landesmeisterin, DM-Teilnehmerin und erfolgreiche CEI-Starterin, die im letzten Jahr in Kagel als 26jährige rüstige Rentnerin noch immer locker über 31 km marschierte.
Miriam Lewin
2014 – Jenny Stemmler bei den Weltreiterspielen
„Reiten und Zucht“ 10/2014
Die Potsdamerin repräsentierte die deutschen Distanzreiter in der Normandie
Als eine von fünf deutschen Distanzreiterinnen, die für die Welt-Reiterspiele in der Normandie nominiert waren, reiste die Potsdamerin Jenny Stemmler im August nach Frankreich.
Bei einem Interview im Jahre 2011 sagte sie noch: „Sicher möchte jeder ehrgeizige Reiter mal ganz oben mitreiten. Ich bin mir aber auch im Klaren darüber, dass es ein riesiger zeitlicher und finanzieller Aufwand ist, allein schon den Sichtungsweg für eine Europa- oder Weltmeisterschaft zu gehen. Außerdem braucht man wirklich das richtige Pferd dazu. Ohne ein Pferd, von dem ich weiß, dass es den Anforderungen auch hundertprozentig gewachsen ist, würde ich das nicht probieren.“ Mit Radja d’Aurabelle hatte sie es gefunden. Nachdem ihr altes Erfolgspferd Morgan – welches sie aufgrund seines Nervenkostüms als kein Pferd für Championate bezeichnet hatte – im Jahre 2012 in den Ruhestand geschickt worden war, hatte Jenny gezielt gesucht. Mit Hilfe von Sabrina Arnold, jener Reiterin, die zu Jahresbeginn die Weltrangliste der Distanzreiter angeführt hatte, wurde bei der südfranzösischen Reiterin und Züchterin Virginie Atger die 2005 geborene Radja d’Aurabelle gefunden. Die von dem Araberhengst Tarzan de Jano und aus der Traberstute Tina du Bas Miniac gezogene Fuchsstute entstammt einer Distanz-Leistungszucht und hatte siebenjährig beim CEI1* über 90 km in Compiègne bereits ihre internationale 2-Sterne-Qulifikation abgelegt. Beim ersten Start unter ihrer neuen Besitzerin errang die Stute Platz drei beim CEI2* über 120 km in Holzerode unter schwierigen Witterungs- und Bodenverhältnissen. Von da an wusste Jenny, dass sie das Hundertmeiler-Pferd, nach dem sie gesucht, auch tatsächlich gefunden hatte.
Die letzte Sichtung für die WEG fand in diesem Jahr beim CEI2* über 125 km in Compiègne statt. Nachdem Jenny mit Radja hier als drittbeste Deutsche auf Platz 39 (von insgesamt 170 Startern) abgeschlossen hatte, war die Nominierung für sie keine Überraschung mehr. Sie hatte gezielt und erfolgreich darauf hingearbeitet.
Dass diese Weltreiterspiele für den Distanzsport ein Desaster waren, kann im Nachhinein nicht schöngeredet werden. „Ein schwarzer Tag für die deutschen Distanzreiter“ titelte die Pressemitteilung der FN, die noch während des Wettbewerbs herausgegeben wurde. Da waren schon alle deutschen Starterinnen ausgeschieden. Es hätte schlimmer kommen können. Das Pferd einer Reiterin aus Costa Rica lag mit gebrochenem Genick am Wegrand, die Reiterin schwer verletzt darunter. Dieser Anblick blieb den nachfolgenden Reitern und auch Jenny Stemmler nicht erspart. „Wir haben überlegt, geschlossen aufzugeben“, gesteht sie. Rückblickend resümiert Jenny: „Das war nicht der Normalfall eines Championats. Natürlich ist immer ein Risiko vorhanden, und man selbst hofft, so zu reiten, dass einem nichts passiert. Aber in der Normandie war man der Strecke hilflos ausgeliefert, selbst noch im Schritt. Das war viel zu gefährlich!“ Auch Bundestrainer Ording äußerte sich entsetzt: „Fast alle Nationen forderten eine Entschärfung der Strecke, aber es wurde nichts geändert.“ – Für Jenny und Radja war der Traum vom Championat, aus dem längst ein Alptraum geworden war, schnell vorbei. Nachdem ihre Stute auf dem ersten Loop nicht mehr taktrein lief, gab die Reiterin auf. Die Frage, wie sie sich nach diesen Weltreiterspielen fühle, beantwortet sie dennoch mit: „Gut. Weil es dem Pferd gut geht, das nur wegen Muskelproblemen ausgeschieden ist und am nächsten Tag wieder in Ordnung war.“ Neben großer Enttäuschung herrschte bei ihr wie beim gesamten deutschen Team auch große Erleichterung. – Darüber, dass alle fünf Pferde wieder gesund nach Hause fuhren.
Doch Jenny Stemmler wäre nicht Jenny Stemmler, jene Reiterin, die selbst im härtesten Wettbewerb noch lächelnd in die Kamera blickt, wenn sie nicht auch positive Erfahrungen mitgenommen hätte. Sie schwärmt von einer grandiosen Eröffnungsfeier, sie zollt den anderen Kaderreiterinnen Respekt, ihrer Solidarität untereinander und dem, was sie von ihnen lernen konnte. „Am Ende werden die guten Erinnerungen überwiegen“, sagte sie, und ihr Lächeln ist schon wieder zurück.
Ihr Rüstzeug für den Distanzsport hat sich Jenny Stemmler bei der Distanzlegende Sieglinde Dick im märkischen Münchehofe geholt. Seit 2004 war sie maßgeblich mit dem von Heike Ganster aus Bayern zur Verfügung gestellten Vollblutaraber Morgan unterwegs, mit dem sie im Jahre 2010 auch Berlin-Brandenburgische Landesmeisterin wurde.
Miriam Lewin
2014 – Mara Schima – Nicht zu unterschätzen
„Reiten und Zucht“ 3/2014
Die Distanzreiterin Mara Schima und ihre Pferde
Klein, aber oho. Gemeint ist das Pferd. Obwohl es auch in Hinblick auf die Reiterin zutrifft. Denn sonst würden sie überhaupt nicht zusammenpassen, die zierliche, jung gebliebene Kindergärtnerin aus Schönwalde und ihr Welsh-B-Araber-Mix Beach Boy, der mit 1,40 m Widerristhöhe noch ein ganzes Stück vom Endmaßpony entfernt ist. Was dazu führt, dass der interessant kolorierte Wallach – dessen Fellfarbe laut Pass als „Rotfalbe“ angegeben ist, was aber lediglich eine falsche Übersetzung der zutreffenden englischen Bezeichnung „Red Roan“ ist, die einen stichelhaarigen Fuchs beschreibt – gern unterschätzt wird. Ganz massiv geschah das zu ersten Mal, als Mara den bis dato braven fünfjährigen Hengst zum Wanderreitabzeichen-Lehrgang mitnahm. Flugs brachte man das niedliche Knuddelpony auf dem Gastgeberhof in einem Paddock mit Elektrozaun unter – aus dem sich der Kleine, der plötzlich seine Männlichkeit entdeckt hatte, nachts befreite, um sämtliche Stuten des Hofes – damals (praktischerweise) noch in Ständerhaltung – zu beglücken. Die nächtliche Kletterpartie des jungen Mannes blieb zur allgemeinen Erleichterung zwar ohne Konsequenzen für die Damen, nicht jedoch für ihn, der nach dieser Eskapade kurzerhand zum Wallach befördert wurde. Eine Entscheidung, die der Besitzerin nicht allzu schwer fiel, denn auch unterm Sattel und im Umgang kehrte der kleine Kerl plötzlich das Enfant terrible heraus. Klar war damit auch, dass Beach Boy mit Wanderreiten wohl unterfordert wäre. Eine trainingsintensivere Sportart musste her, etwas, das beiden, Pferd und Reiterin, Spaß machte. Und so begann die Distanz-Karriere von Beach Boy.
Mit dem Distanzreiten war Mara schon geraume Zeit zuvor in Berührung gekommen, als sie gemeinsam mit einer Freundin auf ihrem ersten Pferd, einem Haflinger-Norweger-Wallach, zwei kleine Einführungsritte „just for fun“ absolvierte hatte. Dann aber kam die Familienplanung dazwischen, und Distanzreiten wurde erst einmal wieder ad acta gelegt.
Den ersten Distanzritt ging „Beach“ in Bötzow, gemeinsam mit einem Shetland-Pony – schon damals in gewisser Unterschätzung seiner Leistungsfähigkeit. „Nichtsahnend“, wie Mara sagt, sei sie mit ihm dann ins mecklenburgische Stuck gefahren, wo die Familie Angelbeck seit vielen Jahren gut besuchte und vor allem auch leistungsorientierte Distanzritte durchführt. Ein kurzer Distanzritt über ca. 45 Kilometer mit Massenstart (heute laut VDD-Reglement erst ab mittleren Strecken erlaubt) stand auf dem Programm. Und Massenstart bedeutete damals wie heute in Stuck den Start von wahren Massen. „Beach schoss gleich vorneweg mit den ersten Arabern raus – in gleicher Weise später wieder ins Ziel“, berichtet Mara. Damit hatte sie nicht gerechnet. Weder sie noch irgendjemand sonst. Und der Cheftierarzt Martin Grell – einer, der weiß, wovon er redet, denn er zählt seit langem zu den erfahrensten VDD- und FEI-Tierärzten und bekleidete damals das Amt des Team-Tierarztes der deutschen Endurance-Nationalmannschaft – warnte noch: „Mit dem kleinen Pony wirst du wahrscheinlich nur kurze Strecken reiten können, sonst machst du ihm die Beine kaputt“. Denn die waren, wen wundert’s, bei der Nachuntersuchung zwei Stunden nach diesem überraschenden Start-Ziel-Sieg, schon ein wenig angelaufen.
Mara Schima befolgte den Rat – zunächst. Beach Boy absolvierte kurze Strecken, landete aber immer unter den ersten Zehn. Und angelaufene Beine gab es auch nicht mehr. „Er ist kein Araber, natürlich hatten wir manchmal mit dem Puls zu tun“, sagt die Reiterin, aber sie wusste auch: Da ist mehr drin! – Der erste mittlere Distanzritt über 61 Kilometer war plötzlich gar kein Problem mehr, und schon kamen so viele Gesamtkilometer zusammen, dass Pony Beach Boy unter all den „Großen“ in der Berlin-Brandenburger Statistik der meist gelaufenen Pferde 2006 auf Platz 5 kam, 2007 sogar auf Platz 4. Und Mara Schima selbst trug der ewig Unterschätzte im Jahr 2006 auf Platz 5 in der Auswertung des Landepokals Berlin-Brandenburg im Jahr 2007 gar auf Rang zwei.
Im Jahr 2008, der unermüdliche Welsh-Araber war bereits erfolgreich auf langen Strecken bis 90 Kilometer unterwegs, verurteilte eine Herzentzündung in zur Zwangspause. Nach einer Saison Auszeit war der kleine Kämpfer mit dem großen Herzen jedoch schon wieder mit von der Partie. „Sein Herz war stärker als je zuvor!“, sagt Mara und setzte Beach Boy jetzt weniger auf kurzen, schnellen Strecken, sondern zunehmend auf langen und Mehrtagesritten ein. Der kleine Flitzer wurde zum Kilometersammler. Für die kommende Saison hat Mara Schima sich vorgenommen, mit ihm die 4000er-Marke zu knacken.
„Wenn man richtig mitmischen will“, wusste Mara jedoch längst, „muss man einen Araber haben.“ Und so kam im Jahr 2002 Aman ins Spiel. Per Annonce entdeckt, auf Fotos gesehen – und zunächst für zu leicht befunden, da abgemagert und ungepflegt: ein kleiner, schmaler Jährlingshengst, der auf den ersten Blick nicht viel zu bieten hatte. „Aus Frust“ habe sie die Fotos einer befreundeten Araberzüchterin, Gabriele Borowicz, gezeigt, sagt Mara, und die habe sich das Pedigree angesehen und gesagt: „Unbesehen kaufen!“
Ganz unbesehen hat Mara Schima den Fuchs dann zwar nicht gekauft, vielmehr trotz einer Ankaufsuntersuchung, bei der das Pferd wegen schweren Maukebefalls auf allen Vieren lahmte. Es war das Wesen des Vollblutarabers, das Mara sofort für sich eingenommen hatte. Brav und geduldig hätte er im Regen neben ihr gestanden, während sie sich mit seinem Verkäufer unterhielt. Hengst blieb er freilich nicht lange, da hatte sie ihre Erfahrungen gemacht. Im Jahr 2006 stellte sie ihn zunächst bei kleineren Ritten vor, und gemeinsam tasteten sie sich allmählich an größere Aufgaben heran. Im Jahr 2011 erfolgte der erste internationale Start beim CEI1* über 81 km in Glien (Platz 7). Ebenfalls unter CEI-Bedingungen, allerdings nur über 60 km, jedoch auf schwerstem Geläuf, gelang 2012 ein Sieg in Nörten-Hardenberg, und im gleichen Jahr kam das Paar dem Landesmeistertitel auf Platz 4 schon erheblich nahe. In der vergangenen Saison setzten die beiden einen ersten Glanzpunkt mit einem zweiten Platz beim CEN über 90 km im Rahmen einer FEI-Veranstaltung in Göttingen-Holzerode, und konnten dann mit einem Sieg in der nationalen 121-Kilometer-Prüfung, die als Begleitritt zur Deutschen Meisterschaft im Juni in Paaren/Glien ausgetragen wurde, punkten, wobei es obendrein noch den Konditionspreis für Aman gab.
Nur ganz knapp verfehlten Mara Schima und Aman in der letzten Saison den Sieg in der Wertung des Landespokals Berlin-Brandenburg. Vor ihr lag nur noch Marcus Kirchner mit Zargun – ein Paar, das genau genommen in Mecklenburg zuhause ist.
Dass Mara Schima offenbar ein ganz besonderes Händchen für die Kleinen hat, zeigt auch Beach Boys Stallgefährte Jasper. Den 1,38 m kleinen Knabstrupper hat sie nie selbst in einer Prüfung geritten, sondern ihrer Jugendreiterin Carla Lakenbrink zur Verfügung gestellt, die mit Jasper zahlreiche lange Distanzritte erfolgreich bestritt. Im Jahr 2011 wurde sie mit ihm Landes-Jugendmeister und im Jahr darauf Vize. Carla könnte zwar theoretisch noch zwei Jahre lang als Junge Reiterin starten, doch ist sie dem kleinen Schimmel mittlerweile entwachsen und konzentriert sich auf ihr Medizinstudium.
Damit es jedoch nicht langweilig wird, hat Mara Schima bereits Nachwuchs im Stall: ihr Berittpferd Shattal. Der Vollblutaraber, der, wie Mara selbst sagt, noch sehr unsicher, ihr daher aber umso mehr ans Herz gewachsen ist, hat mit sieben Jahr in dieser Saison nun auch das richtige Alter für die lange Strecke erreicht …
Miriam Lewin
2014 – Andrea und Stella Herlt – Von der Tochter gelernt
„Reiten und Zucht“ 2/2014
Die Distanzreiterinnen Andrea und Stella Herlt
Die Landesmeisterschaft 2013 im Distanzreiten endete im Sommergewitter mit dem Sieg von CD Zenith unter Andrea Herlt, die sich gegen ein großes, ehrgeiziges Starterfeld und auch gegen die eigene ambitionierte Tochter Stella mit Asdiqa bint el Asaran durchsetzte. Wie kam es dazu?
Seit 2007 lebt Familie Herlt mit derzeit fünf Pferden – vier Vollblutarabern und einem Partbred –einem Sheltie, einem Australian Shepherd und einem zugelaufenen Kater in Quermathen, zehn Kilometer südlich von Nauen. Aktiv im Sattel sind nur Andrea Herlt (50) und Tochter Stella (26). Doch ohne die Unterstützung ihrer Männer, so Andrea, wäre ihnen dieser Sport nicht möglich. Auch über die Anschaffung eines neuen Tieres, egal, ob Pferd, Hund, Katze, Maus, entscheide der Familienrat, „weil jeder auch die Verantwortung übernimmt“. Dabei war der Umzug aufs Land allein den Pferden geschuldet, denn alle Familienmitglieder arbeiten in Berlin, Andrea im physiotherapeutischen Management in Charlottenburg, ihr Lebensgefährte als Physiotherapeut mit eigener Praxis im Grunewald und Stella bis vor kurzem als Physiotherapeutin in Mitte und zusätzlich als Tierosteopathin in Berlin und Brandenburg. – Zurzeit ist sie im Schwangerschaftsurlaub, nachdem sie endlich jemanden gefunden hat, der „a) in Quermathen, b) in der Nähe ihrer Eltern und c) mit ihren ganzen Tieren leben möchte“. Nachwuchs wird im März erwartet, die Hochzeit soll dann im August stattfinden. – „Reiten will ich aber trotzdem!“, beharrt Stella. „Auch Distanzen!“ – An diesem Punkt des Gespräches erhebt sie zum ersten Mal die Stimme. Denn eigentlich ist sie eher der ruhige, nachdenkliche Typ, während die kleine, zierliche Andrea die Agile, Wortgewandte ist. – Doch der äußere Schein trügt, sobald es um den sportlichen Erfolg geht. „Ich bin nicht sehr ehrgeizig“, räumt Andrea ein, „im Sport nicht und auch nicht im normalen Leben.“ Und so war sie viele Jahre lang mit ihrem Freizeitpferd Luigi, einem Araber-Holsteiner, zufrieden auf kurzen Distanzen unterwegs und hat Tochter Stella betreut, die von Anfang an wettkampforientiert als Jugendliche und Junge Reiterin im Distanzsport aktiv war. Mit ihrem eigenen Pferd Ali Baba hatte sie sich in jungen Jahren schon in den Landeskader Berlin-Brandenburg hineingeritten. Leider erkrankte der Schimmel, den Stella in vielen Aspekten ihren Lehrmeister nennt, an Borreliose und einem lange unerkannten Stoffwechselproblem, sodass ihm die ganz große Karriere versagt blieb. Ungeachtet dessen feierte er unlängst noch einmal ein Comeback auf der langen Strecke, bis ihn ein tragischer Koppelunfall im vergangenen Jahr das Leben kostete. „Luigi und Ali haben damals auch für unsere Anfängerfehler herhalten müssen“, bekennt Stella.
Für die großen Ritte bekam sie Pferde zur Verfügung gestellt, so Kiasso von Sybill Matzdorf, mit dem sie 2008 den siebten Platz bei der Deutschen Jungendmeisterschaft und Platz vier in der nationalen Wertung belegte, und verschiedene Pferde von Sian Griffiths. Die in Mecklenburg ansässige Trainerin wurde „ein Meilenstein“ in Stellas Ausbildung, die wiederum ihr Wissen und Können an Andrea weitergab. „Ohne Sian wäre mein Ali Baba nie wieder in den Sport zurückgekehrt, und unsere Pferde wären nicht da, wo sie jetzt sind“, sagt Stella. „Sian hat mir von der Pike auf gezeigt, wie ich mein Pferd auf den Distanzsport vorbereiten muss.“ Von diesem Wissen hat die Mutter ebenso profitiert: „Gymnastizierung ist die Basis für jedes Reiten und natürlich auch im Distanzsport“, sagt Andrea. „Die Pferde müssen erst einmal in die Lage gebracht werden, so viele Kilometer gesund durchzuhalten. Ein nicht gymnastiziertes, unbalanciertes Pferd ist dazu nicht fähig. Ausrüstung, Grundausbildung, Konditionierung, das muss einfach alles stimmen bei diesen langen Strecken und in diesem hohen Tempo. Das ist kein schneller Erfolg. Das ist ein Erfolg, der sich dann von selbst einstellt, wenn man ein Pferd über Jahre hinweg kontinuierlich aufbaut. Ich bin ja nicht vor vier Jahren losgegangen und habe gesagt, jetzt kaufe ich mir Zenith, um 2013 mit ihm Landesmeisterin zu werden!“ Nein, es sei nicht der plötzliche Antrieb gewesen, ihrer Tochter im großen Sport nachzueifern, den Andrea dazu veranlasst hatte, gezielt nach einem Leistungsträger zu suchen. Doch Luigi wurde älter, und sein Gesundheitszustand ließ bald keine Distanzritte mehr zu. Und dann fiel Andreas Entscheidung konsequent aus: „Von der Gesundheit, vom Gebäude und von den Voraussetzungen her wurde ich wählerisch. Ich habe nach einem Pferd mit einem starken Laufwillen gesucht, so wie Stellas damaliges Leihpferd Zyra. Deren Abstammung hatte ich mir aufgeschrieben.“ – Ein Vollblutaraber sollte es sein, einer mit den alten polnischen Linien im Blut. Durch Zufall fand sie in Hildesheim den Tahil Ibn Mameluk-Sohn CD Zenith aus der Galib ben Afas-Tochter Zahady, die wiederum aus einer Mors-Mutter gezogen wurde. Damit sind zwei der Elitehengste der bedeutenden Rostocker Zucht in Zeniths Pedigree mütterlicherseits vereint. „Zenith ist eher ein unsicheres, ängstliches Pferd mit einem ausgeprägten Laufwillen. Die Geister, die ich rief …“, sagt Andrea über den Fuchs. „Es war wirklich anstrengend, Ruhe in ihn hineinzubekommen und ihm ein kontinuierliches Tempo beizubringen. – Das hat er nicht von selbst angeboten. Jetzt nach vier Jahren waren er und Asdiqa endlich so weit, gesund und munter – und entspannt für uns – eine solche Strecken laufen zu können.“
Auch Asdiqa bint el Asaran geht mütterlicherseits über Arielle und El Amirah auf Galib ben Afas und Mors zurück. Als „sehr anspruchsvolles Pferd“ beschreibt Stella die Stute. „Genie und Wahnsinn liegen bei ihr dicht beieinander.“ Die Stute aus der Zucht von Gabriele Borowicz lebt vom Jährlingsalter an bei den Herlts, aber „erst von dem Moment an, wo ich begonnen habe sie zu reiten, sie zu fordern, ihr Dinge beizubringen, wurde das eher schwierige Verhältnis besser“, so Stella. „Ich kann sie nicht so von Herzen lieben wie meinen Ali, sondern wir verstehen uns, weil wir zwei Sportler sind, die gemeinsam dasselbe Ziel verfolgen.“
Zurück zur Landesmeisterschaft 2013: „Asdiqa ist auf den letzten fünf Kilometern langsamer geworden“, erzählt Stella. „ Und ich wusste, wenn ich sie jetzt da durchtreibe, dann habe ich mir ihr Vertrauen verscherzt. Und das war mir kein Titel wert.“
„Mein erster Gedanke war: Wir bleiben zusammen wie immer! Aber Stella hat mir die Hölle heiß gemacht und gesagt: ,Wir sind jetzt hier nicht so weit gekommen, um aufzugeben, lass dein Pferd das laufen, was es laufen möchte!‘ Wir hatten eine solche Situation geübt. Die Pferde lassen sich während des Rittes problemlos voneinander trennen. Zenith ist dann alleine weitermarschiert. Aber mir war nicht wohl bei dem Gedanken, Stella, die zu der Zeit bereits schwanger war, da draußen im Unwetter zurück zu lassen.“
Im Nachhinein sagt Andrea Herlt: „Klar bin ich stolz darauf, dass sich das mit dem Titel so ergeben hat. Und es hat Spaß gemacht! Aber das ist nicht das Wichtigste. Zenith ist ein wunderbares Pferd und mein Freund, den ich sehr gern habe, sein Wohlergehen hat immer Vorrang.“
Aufgezeichnet von Miriam Lewin
2013 – Interview mit Andy Schramke – Plötzlich Landesmeister (2012)
„Reiten und Zucht“ 3/2013
Distanzreiter Andy Schramke im Interview
RuZ:
Andy, du lebst in Gransee, aber du hast dich erst als Brandenburger enttarnt, als sich der sportliche Erfolg einstellte.
Andy:
Richtig. Ich hab damals als Landwirt in Mecklenburg gearbeitet, und irgendwie war beim VDD diese Adresse noch eingetragen. – Bis dann mal der Landesbeauftragte ankam und fragte: Sag mal, wo wohnst du eigentlich?
RuZ:
Da stelltest du schon eine ernsthafte Konkurrenz für die Brandenburger dar. – Wie bist du denn überhaupt zum Reiten gekommen?
Andy:
Durch Bekannte, die Ponys hatten. Mit 18 Jahren hab ich angefangen. Vorher hatte ich nie was mit Tieren zu tun gehabt. Aber das hat mir Spaß gemacht, und dann wurde es immer mehr, immer mehr … Und irgendwann war’s dann ein eigenes Pferd.
RuZ:
Und warum Distanzsport?
Andy:
Meine damalige Freundin ist Distanzen geritten, und da bin ich irgendwie mit reingerutscht. Außerdem habe ich auch mal Bekannte getrosst und war als Helfer auf unterschiedlichen Distanzritten.
RuZ:
Und deshalb musste es dann auch ein Distanzpferd sein?
Andy:
Überhaupt nicht. Mein erstes Pferd war ein Hannoveraner. Einfach nur so, aus Spaß am Reiten.
RuZ:
Jetzt hast du aber doch eine Araberstute?
Andy:
Sameeyah war drei, als ich sie geholt habe. Das war vor zehn Jahren. Ich habe sie in Wittstock vom Züchter gekauft, aber auch nicht gezielt für den Sport. Irgendwann habe ich einfach mal einen Distanzritt mit ihr ausprobiert. Da es uns beiden Spaß gemacht hat, sind wir dabei geblieben.
RuZ:
Hast du Sameeyah selbst ausgebildet?
Andy:
Ja, klar, die konnte damals noch nicht wirklich was. Aber man wächst mit seinen Aufgaben. Man guckt sich bei anderen Leuten was ab, auch auf den großen Turnieren, wie beim CSI auf der Hippologica oder auf Distanzritten, und probiert aus, was am besten zu einem passt. Dann startet man einfach mal und schaut ob alles klappt.
RuZ:
Du hast gleich mit mittleren Strecken ab 61 Kilometer angefangen und seitdem hat dich der Sport nicht mehr losgelassen. Warum?
Andy:
Irgendwann reizt es einen. Klar, fragt man sich manchmal: Wofür betreibe ich diesen Aufwand, das frühe Aufstehen, den ganzen Stress …? Aber wenn man dann nach dem Ritt zufrieden nach Hause fährt, ist das alles wieder vergessen. – Und man lernt viele Leute kennen, reitet in unterschiedlichen Landschaften … Ja, schon, die erste Runde LDR ist schwer. Du sagst dir: dreißig Kilometer, und du fängst erst an! Aber wenn man erst mal die Hälfte geschafft hat, wird es leichter, und dann sind es nur noch vierzig Kilometer, nur noch zwanzig … Und schließlich bist du im Ziel.
RuZ:
Seit der letzten Saison kam bei dir dann auch der Ehrgeiz mit ins Spiel.
Andy:
Klar. Bei den ersten Ritten habe ich mir noch gesagt: mitmachen, ankommen, mal gucken, was passiert. Aber je höher ich Sameeyah trainiere, desto mehr Ehrgeiz entwickelt auch die Stute und will vorne mithalten. Auf den ersten fünfzig-sechzig Kilometern ist sie dann echt anstrengend.
RuZ:
Bei ihr ist es offenbar eine Kopfgeschichte, dass sie Probleme mit zu hohen Pulswerten hat. Wie gehst du damit um?
Andy:
Ausprobieren, es drauf ankommen lassen. Jeder Ritt ist anders. Du musst dich immer darauf einstellen: Andere Starterzahlen, ein anderes Grundtempo. Ich versuche, im Wettkampf möglichst das Tempo zu reiten, das ich auch zu Hause trainiere, so zwischen 14 und 16 km/h, abwechselnd Trab und Galopp, wobei ich mich anfangs bemühe, Sameeyah zu regulieren und zu traben. Wenn sie etwas ruhiger wird, versuche ich mehr zu galoppieren, um sie in Schwung zu halten. Bei der Landesmeisterschaft im vergangenen Jahr sind wir auf der letzten Runde mit 19 km/h an Jana Weingart vorbei gegangen, die in Führung lag. Ich hab Sameeyah dann locker weitergaloppieren lassen, um noch etwas Zeit gut zumachen. Das Wetter war den ganzen Tag über sehr schwierig gewesen, schwül-heiß und wechselhaft. Zum Glück gab‘s kurz vorm Ziel noch einen Schauer, der den Pferden Erfrischung gebracht hat. Für Sameeyah und mich war es immerhin schon der zweite 120-km-Ritt der Saison nach dem schweren CEI** in Luhmühlen.
RuZ:
Wie waren Sameeyahs Pulswerte im Ziel?
Andy:
Wir haben uns Zeit gelassen zum Kühlen und erst kurz vor Ablauf der 30 Minuten mit Puls 60 vorgestellt. Das hat gepasst.
RuZ:
Damit warst du Landesmeister. Aber zuvor konntest du auch schon erste internationale Erfolge verzeichnen.
Andy:
Das war 2011 der zweite Platz beim CEI1* im Glien über 81 km hinter Kerstin Deichmüller. Da hatte ich ruhig angefangen, aber die letzte Runde sind wir mit 25 km/h gegangen. Das war sicher riskant, hat aber geklappt. 2012 in Luhmühlen haben wir dann die zwei Sterne international geknackt und sind auf den sechsten Platz gekommen, als zweitbeste deutsche Starter. – Ich hatte zuvor überhaupt nicht bewusst die Novice-Quali absolviert. Irgendwann waren die beiden mittleren und die beiden langen Ritte beisammen, und das CEI in Bötzow fand gleich um die Ecke statt …
RuZ:
Du bist also eher schleichend auf die Leistungssport-Schiene gekommen?
Andy:
… habe dann aber kontinuierlich daran weitergearbeitet und mir auch Ziele gesteckt – wie eben im letzten Jahr vor allem den internationalen Start in Luhmühlen. Die Landesmeisterschaft zwar auch, allerdings hatte ich nicht damit gerechnet, dass es da für uns so bombig laufen würde. In dieser Saison sind nun die 160 Kilometer gesteckt.
RuZ:
… bei der Deutschen Meisterschaft im Glien?
Andy:
Aber nur auf Ankommen, und um den dritten CEI-Stern zu erreiten.
RuZ:
Ein Statement zum Schluss – was würdest du dir für den Distanzsport im Allgemeinen wünschen?
Andy:
Dass im internationalen Sport nicht immer mehr an der Temposchraube gedreht wird. Die Pferde werden immer jünger und sollen immer schneller laufen, und der Leistungsdruck wir immer größer. Ich habe immer versucht, auf mein Pferd aufzupassen. Sameeyah wurde zum Beispiel erst mit 7 Jahren angeritten und langsam auf die großen Wettbewerbe vorbereitet. Beim nationalen Reglement würde ich mir wünschen, dass die Organisation der nationalen Ritte mit zentralem Vet-Gate usw. mehr an das FEI-Reglement angepasst wird. International sind die Abläufe viel klarer und dadurch wird der Wettbewerb fairer. Die Gemeinschaft hast du natürlich mehr auf den nationalen Ritten, das Familiäre mit abends Zusammensitzen und Grillen und Schnacken über Gott und die Welt.
RuZ:
In diesem Sinne: Dir noch viele schöne Grillabende und sportliche Erfolge für dich und Sameeyah!
Das Interview führte Miriam Lewin.
2012 – Miriam Lewin: Rittbericht Britz subjektiv
„Distanz aktuell“ im Sommer 2012
Britz hat für mich in vieler Hinsicht einen ganz besonderen Nostalgie- und Erinnerungswert, daher freute ich mich in diesem Jahr auch ganz besonders auf die Chance, einmal wieder aktiv an diesem Ritt teilzunehmen zu dürfen und nicht nur als Fotografin am Rande zu stehen.
Wer nach Britz kommt, sollte wissen, dass es sich um keinen Märkischen-Sandbüchsen-Rennbahnritt handelt. Das Geläuf ist oft steinig, und die Strecke bietet einige Kletterpartien, die es in sich haben, und mit denen vor allem im Brandenburgischen kaum einer rechnet. Ich war mir also dessen bewusst, dass mich kein Hochgeschwindigkeits-Wanderritt á la Zernikow erwarten würde, und war dann eingedenk meines eigenen Trainingszustandes schnell feige genug, vom ursprünglich geplanten LDR herunterzunennen auf den 68-Kilometer-MDR. Da ich auch noch logistisch denkbar schlecht equippt bin (zu Deutsch kein eigenes Gespann besitze), war ich zudem auf fremde Hilfe angewiesen, um überhaupt zum Veranstaltungsort zu gelangen. Das ging gottseidank ganz unkompliziert mit Hilfe der Einführungs-Reiterin Katrin Steinborn, die meinem Freggel einen freien Platz im Pferdehänger neben ihrem Vollblutwallach El Rayo offerierte. Allen Befürchtungen zuwider fingen die beiden Herren dann beim Transport auch nicht an, sich gegenseitig zu beharken, sondern fraternisierten aufs Lieblichste am gemeinsamen Heunetz. Als Freggel dann auf dem Hof von Oda Petri auch noch die Gästebox neben Rayo zugeteilt wurde, war für ihn mit dieser neuen Pferdefreundschaft die Veranstaltung im Prinzip schon als Erfolg abgehakt. – Es ist übrigens die schlechteste Sache nicht, sein Pferd in einer Box unterzubringen, die 15 Geh- oder Reitminuten vom eigentlichen Veranstaltungsort entfernt liegt. Zuweilen den inneren Schweinehund überwindend, läuft und führt man zwangsläufig mehr als gewöhnlich, was für ein stets gut aufgewärmtes (oder abgekühltes) Pferd und garantierte Muskelkater-Minimierung beim Reiter selbst sorgt!
Während der liebe Freggel freudig am Start abtrabte, erinnerte ich mich an meinen ersten Start in Britz vor zehn Jahren – auf der damaligen Erstveranstaltung. Es war (so viel ERST!) auch der erste Start meiner damals 10jährigen Tochter. Meine Vollblutstute hatte den Einführungsritt einmal wieder mit dem Prix de l‘Arc de Triomphe verwechselt und gebärdete sich am Start wie Bucking Bronco, während der kleine Araberschimmel, auf dem das Kind saß, seinen dritten Distanzritt mit einer derartigen Gelassenheit abdrehte, dass beide ihn auch prompt gewannen. Damals war nicht unbedingt abzusehen, dass die zwei fünf Jahre später erfolgreich ihren ersten Nationenpreis bestreiten würden. – Und dann der verhopste Araber Pontiak, den ich 2009 hier über 30 Kilometer getragen hatte – jedenfalls war es mir so vorgekommen, gemessen daran, wie mir jedes Körperteil nach 20 Kilometern Hakenschlagen und 10 Kilometern Treiben vorgekommen war.
Hingegen gab es diesmal einen fröhlich-flotten MDR, gemeinsam geritten mit „Fritzi“ Schwarz aus Borlas. Ihre Warmblutstute Mona Lisa und Freggel verstanden sich gleich wunderbar auf Sächsisch, und obwohl Mona Lisa noch gar kein alter Distanzhase ist, konnte sie Freggel in jeder Pause im Herunterpulsen einiges vormachen. – Während wir unsererseits davon profitierten, dass Fritzis Crew uns einfach mittrosste. So war dann auf diesem Ritt alles easygoing und freundschaftlich. Nicht einmal unser massives Verreiten (entstanden durch Posten-Panik nach einem Sturz, also verzeihbar) bereitete Probleme, da die Veranstalterin uns spontan und kreativ die Runden andersherum zu reiten gestattete. Nachdem Fritzi sich auf den letzten Kilometern vorm Ziel von uns abgesetzt hatte und Freggels Aufholjagd (bei der es mir die Tränen in die Augen trieb) nicht fruchtete, sah ich Fritzi und Mona Lisa gut einen halben Kilometer vor mir als verdiente Sieger ins Ziel fliegen.
Beim LDR hatte sah es etwas später zunächst nach einer Überraschung aus. Martina Baumann und ihr Pony Speedy passierten die Ziellinie als Erste. Leider stellte sich dann heraus, dass sie sich unbewusst verritten und abgekürzt hatten. Der Sieg ging damit an Anke Stelzer mit Israela und Daniela Schmiedel mit ASS Dhabany im Doppelpack.
Text: Miriam Lewin, Foto: Conny Schwedler
2012 – Miriam Lewin: Rittbericht Zernikow – Ein Blumentopf zu gewinnen
„Distanz aktuell“ im Sommer 2012
Je länger ich über das Wochenende in Zernikow nachdenke, desto stärker manifestiert sich der Eindruck, dass es sich um gar keinen Distanzritt im klassischen Sinne gehandelt haben kann. Er blieb nämlich aus, der übliche Distanz-Kater (engl.: endurance hangover), der spätestens am Sonntagmittag von einem Besitz ergreift, wenn man, aus allen Knopflöchern stinkend, den Nacken steif von zwei Nächten im Zelt und mit dem Gefühl, seit Wochen nichts anderes als altbackene Brötchen, Pferdemöhren, Äpfel und die hart gekochten Eier vom letzten Osterfest konsumiert zu haben, sein Pferd nach Hause schaukelt. Vielmehr hielt sogar noch am Montagmorgen der Erholungseffekt des aktiven Wellnesswochenendes in der Prignitz an. Dafür hatte das perfekte Ferienambiente des Gutshofes Zernikow mit Rundum-sorglos-Paket für Pferd und Reiter gesorgt. Zusätzlich zur schönen Ferienwohnung, guter Küche, extrem freundlichem Service und dem geselligen Zusammensein mit vielen Freunden und Bekannten gab es am Sonnabend sogar noch diverse Ausreit-möglichkeiten in netter Gesellschaft, wahlweise für den mehr oder weniger ambitionierten Reiter, und dazu außerdem mehrere komplette Tierarztuntersuchungen für den Vierbeiner ohne Aufpreis! (Im Grunde hätte mich ja einzig schon die von Tierarzt Stefan durchgeführte Ankaufsuntersuchung meines Pferdes mehr gekostet als das gesamte Luxus-Wochenende, betrachten wir das doch mal so!)
Ich hatte also das Super-Active-Angebot mit 88-Kilometer-Ausritt gebucht, um mal so richtig von der Geschäftsstelle auszuspannen. Um den Spaßfaktor zu erhöhen, hatte ich mir zudem noch Conny Schwedlers Warmblutwallach Fairbanks, Freggel genannt (was viel besser passt), ausgeliehen. Das war natürlich getrickst, denn während andere jahrelang ihre Pferde aufbauen und trainieren müssen (siehe Stella und Andrea Herlt, die mit mir zusammen unterwegs waren), habe ich das Teil quasi fix und fertig montiert und eingerichtet übernommen. Na gut, ein bisschen eigenes Training seit einem Vierteljahr habe ich noch draufgepackt, aber das galt mehr der eigenen Konditionierung …
Sechs Leute gingen auf die lange Strecke. Andy Schramke mit seiner 12-jährigen Vollblutaraberstute Sameeyah hatte a) Heimvorteil und b) das Ding schon letztes Jahr gewonnen. Also übernahm er gleich mal ganz munter die Spitze. Freggel und ich dackelten hinterher. Der Rest des Feldes war also irgendwo dazwischen. Das Wetter war klasse: kühl, windig und trocken, die Landschaft traumschön, und es gab lauter bunt bemalte Pfähle an den Wegen, sodass man sich im Wald nicht verlaufen konnte. Das war richtig genial ausgeklügelt und idiotensicher! Der Freggel hat vor lauter Begeisterung gleich seinen mächtigen Hinterhandschub angeworfen und ist ohne großes Zutun meinerseits auf der ersten Runde schon in zweite Position marschiert. Dort war es ihm aber auch langweilig, und er suchte auf dem zweiten Loop den Anschluss an Sameeyah, mit der er den Kringel dann zufrieden gemeinsam zu Ende brachte. Mit entschieden besseren Pulswerten durfte Freggel im Gate dann viel schneller zu den Tierärzten und musste leider eine Viertelstunde vor seiner Rittgefährtin weiter, lief danach mal in dieser, mal in jener Begleitung und befand sich auf Loop 4 sozusagen bereits auf der Zielgeraden, als Sameeyah wieder herangaloppiert kam. Andy und ich verabredeten, den Ritt Hand in Hand zu beenden und trabten nach 5 Stunden, 47 Minuten reiner Reitzeit über die Ziellinie.
Stella und Andrea Herlt kamen nur 20 Minuten später an. Sie hatten mit ihren beiden Nachwuchspferden, der 7-jährigen Asdiqua bint el Asaran und dem 8-jährigen CD Zenith ihren ersten LDR absolviert und waren Start-Ziel unbeirrt in einem absolut gleichmäßigen Tempo (durchschnittlich 14,4 km/h) durchgeritten. Die herausragende Verfassung von Asdiqua bint el Asaran wurde am nächsten Tag noch mit dem Konditionspreis belohnt! Mein Freggel war zwar knapp daran vorbeigeschrammt, aber mangels eines zweiten Sieger-Pokals hatten wir im wahrsten Sinne des Wortes den legendären Blumentopf gewonnen! So richtig flott waren die MDR-Reiter unterwegs. In Tempo 3,37 galoppierte Alexandra Hanssen mit ihrer 8-jährigen Partbred-Ara-berstute Haara auf Platz eins, drei Minuten vor dem ebenfalls 8-jährigen Vollblutaraber Galaan unter Wencke Schubert. Reitpony Speedy machte seinem Namen auch wieder einmal alle Ehre und kam — 50 Minuten später — auf Platz drei.
Der Brandenburger Kurzstrecken-Experte Uwe Schiller ließ es sich erneut nicht nehmen, seinen 13-jährigen Traber Carinjo in Tempo 4 auf Platz eins trotten zu lassen, allerdings nicht ganz ungefährdet, denn er musste sich den Sieg mit Sandra Petrich und ihrem 14-jähriger, Arabo-Warmblüter Mystery teilen. Platz drei ging über eine Stunde später an Enrico Klaus mit Diego und Anja Vogel mit Anahda Forrest.
Am Schluss nur ein einziger Appell an alle Nichtstarter, Nicht-Mitreiter und anderweitig nicht anwesende Distanz-Ambitionierte aus der Region: Lasst euch Zernikow nächstes Jahr nicht entgehen! Falls jemand nicht mitreiten will oder das Pony gerade mal wieder mit dem gelben Schein winkt — kein Problem! Denn wenn es noch etwas zu verbessern gäbe, dann wäre das die Helferzahl, aber die können sich die wackeren Veranstalter Gerlind Groß und Calle Cule-mann ja nicht aus den Rippen schneiden. Ein Wellness-Wochenende werdet ihr dort selbst ohne Pferd erleben. Garantiert.
Text: Miriam Lewin, Foto: Conny Schwedler
2012 – Judith Schillmann – Unterm Sattel und im Geschirr
„Reiten und Zucht“ 2/2912
Judith Schillmann reitet und fährt ihre Distanzpferde
Judith Schillmann (23) hat in dieser Saison im Berlin-Brandenburger Distanzsport-Lager so ziemlich alle Pokale abgeräumt, die es zu holen gibt: Sie hat das Ostdeutsche Championat gewonnen und den Harry-Lüdke-Cup, sie wurde beste Distanzsportlerin und zweite im Langstrecken-Championat, und ihr Wallach mit dem lakonisch klingenden Namen Holger wurde sowohl bestes Pferd 2011 in Berlin-Brandenburg als auch in ganz Ostdeutschland. Holger Loki ist jedoch weder ein Holger ibn Loki im Araberformat noch ein Traber oder Englischer Vollblüter. Es handelt sich vielmehr um ein Fjordpferd in Ponyendmaßgröße, das sich in dieser Saison regelrecht zum Kilometerfresser entwickelt hat. Wenn man seiner Besitzerin, Reiterin und Fahrerin Glauben schenken darf, gar nicht einmal gewollt.
Mit dem Reiten hat sie als Achtjährige angefangen und fand es am Anfang „ganz furchtbar“. Das sollte sich mit der richtigen Reitlehrerin in Schenkenhorst und der (unverzichtbaren) Reiter-Freundin ändern. Alsbald war da der Wunsch nach dem eigenen Pferd, von den Eltern auch bewilligt – und noch immer keine Araberträume, nein, eine Haflingerstute, geritten und gefahren, sollte es sein. Die wurde es nicht ganz. „Ich habe zwölfjährig einen Fahrkurs auf dem Fjordpferdehof „Insel“ in Ruhlsdorf gemacht“, so Judith Schillmann, „und der Chef bot mir ein Fjordpferd an, das kannte nicht einmal richtige Hilfengebung, konnte aber durchs Gelände laufen. Doch der Wallach hatte etwas ganz besonderes, nämlich ein blaues und ein braunes Auge, und da dachte ich mir: Den nehme ich, den erkenne ich wenigstens wieder in der Herde! Und so bin ich zu Holger gekommen, der damals 6jährig war. Ich war froh, ein Pferd zu haben, mit dem ich immer und überall hin konnte, wenn auch nicht unbedingt alleine, das mochte er damals schon nicht …“
Dass Judith Schillmann nicht schon vor Jahren die Berlin-Brandenburger Jugendpokalwertung gewonnen hat, lag daran, dass man schlichtweg übersehen hatte, auch die gefahrenen Kilometer zu werten, denn bereits 2005 absolvierte sie ihre erste Distanzfahrt, damals nicht mit Holger, sondern mit einem Haflingerhengst, der ihr von Sven Bork zur Verfügung gestellt worden war. Sie lacht. „Das war super. Bei Kilometer 15 hatte ich einen Platten und musste meine Beifahrerin im Wald aussetzen. Bei Kilometer 20 hab ich die Rückenlehne verloren und mir fiel auf, dass meine Beifahrerin noch meine Checkkarte hatte … Mit dem demolierten Sulky bin ich trotzdem noch ganz glücklich angekommen …“ – Doch damit war bei Weitem noch nicht das Fundament für eine zukünftige Distanzfahrer-Karriere mit Holger gelegt, denn der war von seiner turnierambitionierten Besitzerin mittlerweile verkauft worden. Anstelle des begehrten Springpferdes wurde es jedoch wieder ein Norweger, Rasmus, und Holger fand sich „durch Zufall“ wieder an. „Und dann habe ich mit dem beiden zweispännig losgelegt“, sagt Judith Schillmann heiter. An ein Foto vom Zieleinlauf erinnert, bemerkt sie: „Da guckt mein Beifahrer so’n bisschen gestresst. Das lag daran, dass die Kutsche nicht wirklich gebremst war, und ich hatte doch etwas unterschätzt, welche Energien zwei Fjordpferde freisetzen können … Aber wir haben genau in Tempo 5 (12 km/h) gelegen!“
Was nun macht das Distanzfahren aus? – Judith Schillmann hat immerhin schon für zwei Deutsche Meisterschaften angespannt, 2009 zweispännig, im letzten Jahr einspännig. „Die konditionellen Anforderungen sind nicht ganz so hoch wie beim Reiten – zumindest sofern man einen etwas bequemeren Sulky hat als ich. Aber viele Fahrer stehen auch, weil man im Sitzen jede einzelne Bodenunebenheit mitbekommt. Man kann stehend das Gewicht besser verlagern. Es gibt andere, die das Trabersystem fahren, also ganz tief mit breiten Beinen im Sulky sitzen. Im Gegensatz zum Rennsulky müssen unsere Fahrzeuge straßenverkehrssicher sein, das heißt Reflektoren hinten und an der Seite sind zwingend vorgeschrieben und Bremse oder Hintergeschirr. Außerdem müssen unsere Fahrzeuge stabil sein, ein Trabersulky von der Rennbahn würde schlichtweg auseinanderfallen. Oft genug sind mir Reifen geplatzt, daher haben viele Distanzfahrer ihre Reifen mit Schaum ausgefüllt. Aber auch Schweißnähte können brechen, es ist einfach eine ziemliche Anforderung an das Material, sobald man etwas schneller fährt. Wenn an sich die Wagen unserer DM-Fahrer anschaut, dann sieht man, dass sie zwar leicht gebaut sind, aber sie haben dicke Rohre und viele Verstrebungen, damit das Ganze auch hält.“
Einen Hundertmeiler, die Königsdistanz von 160 km am Stück, ist Holger 2011 bei der Heidedistanz unterm Sattel gelaufen. „Es holgert“, meinte der Tierarzt noch nach 120 Kilometern – und so ritt Judith eben weiter. „Schon der Start um Mitternacht war etwas ganz Aufregendes, da standen alle mit Fackeln herum, die Strecke war mit Knicklichtern markiert, es war Vollmond und nicht eine einzige Wolke am Himmel, und am Tage zog es sich zu, was Holger natürlich gut fand, denn der mag am liebsten maximal zehn Grad und Nieselregen.“ Sie grinst. „Daran habe ich mich gewöhnt. Wenn’s zu warm wird, bekomme ich auch Migräne.“
Ob es nicht doch auch mal etwas Schnelleres sein darf, frage ich sie zum Schluss. Sie überlegt und erzählt von Osharin’s Peron, dem Trakehner Deckengst von Familie Rolle aus dem Gestüt Elchniederung, den sie in dieser Saison reiten durfte. „Es ist schon etwas anderes mit einem Pferd, das die Lauffreude besitzt, alleine vorneweg zu gehen. Aber mit einem ehrgeizigen Pferd habe ich auch ein bisschen Respekt vor meinem eigenen Ehrgeiz. In dieser Saison durfte ich die international erfolgreiche Stute Mourana von Gabriele Borowicz reiten. Mit solch einen Pferd muss man sich selbst schon mal bremsen, um nicht über die Stränge zu schlagen. Mein Wunsch ist es, die Pferde immer gesund ins Ziel zu bringen.“ – Und so wird Judith Schillmann vielleicht doch den gemütlichen Skandinaviern treu bleiben? Ihr nächstes Fohlen ist jedenfalls wieder ein Norweger. Sie zuckt lächelnd mit den Achseln: „Ich brauche nicht zwingend ein Pferd, das 25 km/h schnell in jede Richtung rennt, aber ich nehme die Möglichkeit natürlich gerne wahr, wenn ich ein flottes Pferd zur Verfügung gestellt bekomme. Ich möchte beruflich in diese Richtung gehen, dafür habe ich Pferdewirt gelernt und einen Trainerschein gemacht, und da wird es hoffentlich nicht ausbleiben, dass ich auch ambitionierter an den Start gehe. Aber solange ich mit meinen Norwegern reite und fahre ist es Hobby, und das soll vor allem Spaß machen!“
Aufgezeichnet von Miriam Lewin
2011 – Interview mit Jenny Stemmler, Landesmeisterin im Distanzreiten 2010
„Reiten und Zucht“ 3/2011
RuZ: Wann hast du mit dem Reiten angefangen?
Jenny: Das war 1992 bei einem Reiturlaub in Polen. Damals war ich neun. Und danach mussten meine Eltern mir dann auch den Reitunterricht in Berlin bezahlen. Ich habe relativ bald begonnen bei Siggi (Sieglinde Dick) mitzureiten, und da lag Distanzreiten sehr nahe. Ich bin auch die ersten Distanzritte auf ihren Pferden gegangen, zunächst zwei Einführungsritte, den ersten 1995 in Kagel, den nächsten 1996, und dann kam 1998 der erste Start mit Flyer. Danach bin ich nicht mehr davon weggekommen.
RuZ: Der Traber Flyer war ja das Weltmeisterschaftspferd von Sieglinde Dick. Was war das für ein Gefühl, den reiten zu dürfen?
Jenny: Es hatte sich so ergeben, dass ich an den Wochenenden immer zu zweit mit meiner Mutter ausgeritten bin, sie auf Fury und ich auf Flyer. Daher bot sich dann der Start mit Flyer auf Siggis eigenem Ritt in Münchehofe an. Ich hatte damals noch überhaupt keine Ahnung und war völlig planlos.
RuZ: Wie lang war die Strecke?
Jenny: 70 Kilometer, und danach war ich tot. Also, ich bin ja sonst immer nur am Wochenende geritten und war in Gummireitstiefeln und mit normalen, schmalen Steigbügeln losgezogen …
RuZ: Aber ihr seid in der Wertung angekommen?
Jenny: Ja, ich weiß gar nicht mehr, welcher Platz, vierter oder fünfter.
RuZ: Und das hat dich nicht eines Besseren belehrt?
Jenny: Es hat drei Tage gedauert bis ich wieder normal laufen konnte, aber es war toll. Danach wollte ich unbedingt mehr machen und beim Distanzreiten bleiben.
RuZ: Wann kamst du dann zum eigenen Pferd?
Jenny: Ich habe bis heute kein eigenes Pferd. Es gab immer Leute, die mir großzügiger Weise Pferde zur Verfügung gestellt haben. Mein jetziges Pferd, Morgan, gehört Heike Ganster aus Bayern. Ich bin ihn dort während meines Studiums in Bayreuth geritten, seit 2004. Und jetzt war sie so freundlich, ihn mir zu überlassen, damit ich ihn mit nach Berlin nehmen konnte.
RuZ: Ein paar Worte zu Heike Ganster?
Jenny: Bei ihr habe ich wahnsinnig viel gelernt über Trainingsmethoden und Management rund ums Pferd. Das ist nicht mit Gold aufzuwiegen. Heike hat mit ihrem Erfolgspferd Schucks zweimal erfolgreich an Weltmeisterschaften und zweimal erfolgreich an Europameisterschaften teilgenommen, auch EM-Mannschafts-Bronze geholt. Sie hat mir gezeigt, dass es möglich ist, mit einem einzigen Pferd über Jahre im Spitzensport mitzureiten, dass man einem Pferd aber auch nur dann immer wieder Höchstleistungen abverlangen kann, wenn man es vernünftig einsetzt und ihm optimale Bedingungen bietet. Das reicht vom Training über die Fütterung und Haltung bis hin zum Management auf dem Ritt und einer perfekten Crew.
RuZ: Was waren deine größten Erfolge mit Morgan?
Jenny: In unserer ersten gemeinsamen Saison 2004 haben wir den Bayern-Cup gewonnen, das entspricht in etwa dem Berlin-Brandenburger Landespokal. Im selben Jahr waren wir für den Jugend-Nationenpreis in Kreuth nominiert und konnten dort Mannschaftsgold holen. Das war mein letztes Mal in der Jugendwertung, mit 21 Jahren. 2005 kam der erste Auslandsstart in Ribiers, in den französischen Alpen, über 119 Kilometer, Mindesttempo 12 km/h. Das war sehr anstrengend. Wir waren zwar unter den letzten, aber wir haben es geschafft. Es war ein tolles Gefühl, da durchzukommen. 2007 sind wir bayrischer Meister geworden, 2008 Vizemeister in Berlin-Brandenburg …
RuZ: … weil dein Stammverein ja immer noch in Kagel war, obwohl du in Bayern wohntest.
Jenny: … richtig. Und wieder zurück in Berlin wurde es dann 2010 der Meistertitel.
RuZ: Ihr habt nun auch den Landespokal, den Langstreckenpreis und die Wertung zum besten Reiter 2010 gewonnen. Es war also eine sehr erfolgreiche Saison …
Jenny: Angefangen mit einem Sieg in Rüdnitz über 82 Kilometer, dann kam die Landesmeisterschaft mit 122 Kilometern, dann der Sieg in Britz über 92 Kilometer, danach ein zweiter Platz in Bayern und zum Saisonabschluss ein Sieg über 80 Kilometer in Mecklenburg.
RuZ: Was hast du dir für die neue Saison vorgenommen?
Jenny: Auf jeden Fall die Landesmeisterschaft und ein paar internationale Ritte – wie den bei uns hier in Glien oder den CEI in Gartow. Sonst heißt es abzuwarten.
RuZ: Morgan ist jetzt 16 und fit und munter?
Jenny: Momentan erweckt er nicht den Eindruck, dass er in Rente gehen wollte, obwohl er schon seit seinem 4. Lebensjahr erfolgreich läuft, vier- und fünfjährig auf der Rennbahn und mit sieben den ersten Distanzritt.
RuZ: Sein Name ist also irreführend, denn es handelt sich um einen Vollblutaraber.
Jenny: So ist es. Er stammt von einem Züchter aus Bayern, Wolfgang Esch, der sehr gute Distanzpferde züchtet. Von ihm stammen auch Madaq und Magnum …
RuZ: … beide hoch erfolgreich im internationalen Spitzensport …
Jenny: … tolle Pferde und auch korrekte Pferde …
RuZ: Da du es selbst ansprichst. Ich habe unlängst im Blog der amerikanischen Distanzreiterin Karen Chaton gelesen, sie würde viele Pferde kennen, die 1a durch jede Ankaufsuntersuchung gekommen, aber nie gelaufen sind, und andererseits Pferde, die hoch erfolgreich im Distanzsport waren, obwohl sie niemals eine Ankaufsuntersuchung bestanden hätten.
Jenny: Morgans Senkrücken stört ihn überhaupt nicht, das kann er kompensieren. Er läuft konstant seine 14-16 km/h oder auch schneller, wenn es sein muss.
RuZ: Was macht nun also ein gutes Distanzpferd aus?
Jenny: Es muss Biss haben und körperlich stark sein. Natürlich gibt es Mängel, die sich nicht ignorieren lassen, wie Probleme mit den Beinen. Trotzdem ist es unglaublich, was gute Pferde auch ausgleichen können. Sie müssen nur Spaß am Laufen haben.
RuZ: Wenn ich deine Rittstatistik mit Morgan betrachte, sehe ich aber schon, dass du ihn mit Bedacht einsetzt und die ganz großen Championate bisher ausgelassen hast.
Jenny: Ich denke einfach, man muss ein Pferd seinem Potenzial entsprechend einsetzen. Morgans Stärke ist es auf nationalen Ritten über Jahre hinweg konstant sehr weit nach vorn zu laufen. Er ist nicht der allerschnellste und wäre internationalen Championaten wohl auch psychisch nicht gewachsen. Wir sammeln auch keine Kilometer, das heißt Morgan geht nicht mehr als fünf im Jahr. Ich suche mir die Ritte sehr genau aus, und Morgan hat danach lange Regenerationsphasen.
RuZ: Nach welchen Kriterien wählst du die Ritte aus?
Jenny: Entfernung, Landschaft, Bodenverhältnisse, Anspruch, das spielt alles eine Rolle. Ich gehe gerne Ritte, für die man ein bisschen Köpfchen braucht, wo es mit Laufenlassen nicht getan ist, wie in Ribiers, oder zum Beispiel die Kabardiner-Distanz in Bayern in extrem bergigem Gelände. Das macht Spaß. In der letzten Saison habe ich allerdings eher Ritte in der Nähe gewählt, um Morgan an die neuen Bodenverhältnisse zu gewöhnen, denn auf dem flachen Land und im Sand trainiert man ja ganz anders als in den Bergen.
RuZ: Was sind die Unterschiede?
Jenny: Am Berg trainiert man viel im Schritt und nutzt den Berg zum Intervalltraining. Hier in Brandenburg bin ich zu Saisonbeginn im Training längere Strecken in relativ ruhigem Tempo geritten und habe dann die Ritte selbst genutzt, um darüber Kondition aufzubauen, von 80 Kilometern der Sprung auf 122 Kilometer. Danach habe ich die Trainingsstrecken verkürzt und bin mehr galoppiert, auch mal 30 bis 45 Minuten am Stück. Vernünftiges Galopptraining bringt ab einem bestimmten Trainingsstand mehr, als Kilometer zu fressen und im Trab durch die Gegend zu schießen.
RuZ: Was ist Morgans favorisierte Gangart im Wettkampf?
Jenny: Der Trab. Galopp ist ab und zu nicht schlecht, um vorwärts zu kommen oder das Ganze aufzulockern, Morgans Puls ist aber im Galopp nicht ganz so optimal.
RuZ: Trainierst du Morgan nur im Gelände?
Jenny: Ausschließlich. Morgan kennt keinen Platz. Er ist in sich, mit seinem Körperbau, dem nachteiligen Rücken, sehr stabil, und ich möchte da nichts falsch machen oder verändern. Ich achte darauf, dass er im Gelände vorwärts-abwärts läuft, sich selbst trägt, sich in den Kurven biegt und dass er im Galopp auf Kommando die Hand wechselt, was wichtig ist auf langen Galoppstrecken, um einer einseitigen Belastung vorzubeugen.
RuZ: Im Prinzip gymnastizierst du ihn schon, aber eben im Gelände?
Jenny: Natürlich, die Verletzungsgefahr ist bei einem Distanzpferd, dass die ganze Zeit mit weggedrücktem Rücken gegen den Zügel anrennt und ohne Biegung um die Kurven schießt, deutlich höher – insbesondere bei schwierigen Bodenverhältnissen. Aber es führen eben viele Wege nach Rom. Es gibt Distanzreiter, die arbeiten ihre Pferde sehr viel auf dem Platz, andererseits haben andere erfolgreiche Distanzpferde nie ein Dressurviereck gesehen. Man muss das Training individuell auf das jeweilige Pferd abstimmen. – Ich kann zum Beispiel mit Morgan auch nicht viel Intervalltraining machen, denn dabei heizt er sich nur auf.
RuZ: Rennbahntraining käme mit ihm also nicht infrage?
Jenny: Lange Galoppstrecken, ja, aber bei einem Intervalltraining auf der Rennbahn, würde das Rennpferd durchkommen, da legt’s einen Schalter um. Das Renntraining in seiner Jugend hat ihm sicherlich körperlich sehr gut getan, aber nicht unbedingt vom Kopf her.
RuZ: Macht sich das auch im Wettkampf bemerkbar?
Jenny: Die Ritte hier in Brandenburg mit ihren übersichtlichen Starterfeldern sind für ihn ideal. Bei mehr als dreißig, vierzig Startern jedoch wird er sehr, sehr schwierig. Wir sind beispielsweise auch einmal in Compiègne gestartet, das war zu viel für ihn, da sind ihm die Sicherungen durchgebrannt. Das war dann nur noch gefährlich. Und so gibt es auch bei kleineren Ritten manchmal Situationen, die ich bei ihm schon kenne, wo ich weiß, dass ich aufpassen muss. Und manchmal ist es dann besser, einfach abzuspringen und eine Weile nebenher zu laufen.
RuZ: Du sagtest, Morgan sei kein Pferd für die ganz großen Championate. Von welchen Ritten würdest du einmal träumen?
Jenny: Sicher möchte jeder ehrgeizige Reiter mal ganz oben mitreiten. Ich bin mir aber auch im Klaren darüber, dass es ein riesiger zeitlicher und finanzieller Aufwand ist, allein schon den Sichtungsweg für eine Europa- oder Weltmeisterschaft zu gehen. Außerdem braucht man wirklich das richtige Pferd dazu. Ohne ein Pferd, von dem ich weiß, dass es den Anforderungen auch hundertprozentig gewachsen ist, würde ich das nicht probieren.
Das Interview führte Miriam Lewin.
2010 – Interview mit Julia Bauereiß – Mit Schulpferden auf die lange Strecke
„Reiten und Zucht“ 2/2010
Julia Bauereiß über Distanzreiten und Jugendförderung im Sport
RuZ:
Zunächst herzlichen Glückwunsch zum Trainer B Distanzreiten!
JB:
Danke, ich habe die Möglichkeit für einen Quereinstieg vom Trainerschein C Leistungssport wahrgenommen. Da ich ziemlich weit zu fahren hatte, habe ich lange überlegt, ob ich wirklich meinen Achal-Tekkiner Hengst Puschkin mitnehmen soll. Aber im Nachhinein bin ich froh, dass ich mich für den Hengst entschieden habe. Er hat sich ordentlich benommen und alles brav absolviert. Das hat ihn selbst auch weitergebracht.
RuZ:
Sonst haben wir von Puschkin in der letzten Saison nicht viel gesehen, warum?
JB:
Im vorletzten Sommer habe ich ihn aufgrund einer Chip-Operation aus dem Training genommen und seitdem bin ich wieder beim Aufbauen. Wir haben im Herbst noch die 60 km in Bresegard gewonnen, aber sonst wollte ich mich mit ihm auf den Trainer-Lehrgang konzentrieren, das war mir wichtig. Er hat zwar die Novice-Qualifikation für internationale Ritte, war aber in diesem Jahr noch nicht wieder so weit. Da ich in der nächsten Saison unbedingt international starten möchte, habe ich das Angebot von Heimke Thiel, mir ihren Lewitzer Hengst Shakespeare zur Verfügung zu stellen, sehr gern angenommen.
RuZ:
Welche Pläne hast du mit Shakespeare?
JB:
Es gibt in diesem Jahr einige internationale Ritte in Deutschland. Wenn er im März schon so weit ist, werden wir zum Saisonstart beim CEI1* in Severloh 80 km auf Ankommen gehen. Außerdem möchte ich ihn einer meiner jugendlichen Reitschülerinnen, die sehr engagiert ist und der ich das zutraue, für nationale Ritte zur Verfügung stellen, die Landes-Jugendmeisterschaft sollte drin sein.
RuZ:
An der Landesmeisterschaft 2009 hast du selbst erfolgreich teilgenommen – als Drittplatzierte hinter Roland Kälberlach und Anne-Katrin Melles – und zwar mit einem Schulpferd!
JB:
Charlotte ist eine ganz leichtrittige Lewitzer Stute vom Hof, die sonst unter einer meiner Reitschülerinnen geht. Drei der Jugendlichen sind mittlerweile im D-Kader des LPBB – mit Schulpferden, die alle auf die lange Strecke gehen.
RuZ:
Damit gibst du ihnen die Chance, diese Disziplin auszuüben, was ohne eigenes Pferd sonst nahezu unmöglich ist.
JB:
Obwohl es schon so ist, dass ich die Kinder bis zur langen Strecke und bis in den Landesjugendkader zwar führen kann, ich mittlerweile aber auch Privatpferde suche, die ihnen zur Verfügung gestellt werden können. – Ich möchte jetzt auch einen Einführungslehrgang anbieten, um noch mehr Einsteiger an den Sport heranzuführen. Es ist mir wichtig, für unsere Disziplin Werbung zu machen.
RuZ:
Wann hast du angefangen, die Jugendgruppe Distanzreiten aufzubauen?
JB:
Vor etwa zwei Jahren. Das waren alles keine Reitanfänger, aber Neulinge im Distanzsport. Ich hatte die Disziplin auch erst ein Jahr zuvor in Deutschland für mich entdeckt, hatte mir Puschkin gekauft, und fand es eigentlich schade, dass es hier auf dem Schäferhof, wo alle anderen Disziplinen angeboten werden, für die Kinder keine Möglichkeit gab, das auch mal auszuprobieren. Inzwischen läuft das sehr erfolgreich, und ich möchte das Angebot um eine zusätzliche Gruppe erweitern. Die Möglichkeiten sind gegeben: Durch die zwei vorhandenen Reithallen kann man auch im Winter gut weitertrainieren.
RuZ:
Wie viele Reitschüler trainieren jetzt bei dir speziell im Distanzsport?
JB:
Ungefähr 10 Jugendliche und 5 Erwachsene.
RuZ:
Wird mit den Jugendlichen das ganze „Drumherum“ eines Rittes wie Vortraben, Tierarztkontrolle und Pausenmanagement geübt?
JB:
Ja, wir üben das, weil die Kinder ja lernen sollen, ihr Pferd selbstständig vorzustellen und ein Gefühl dafür zu entwickeln, wie es ihm geht, was es gerade braucht: Wasser, Decke, Futter … ist es mit dem Puls noch zu hoch oder ist es schon unten … führe ich lieber oder lasse ich es stehen …
RuZ:
Wie bist du selbst zum Distanzreiten gekommen?
JB:
Das war in Italien. Auf der Suche nach einem Deckhengst für eine Stute meines deutschen Arbeitgebers bin ich bei Florenz an einen Züchter geraten, der Distanzpferde züchtete. Er war selbst Veranstalter und Reiter. Zunächst habe ich ihn nur getrosst, aber später hat er mich selbst reiten lassen. Er hatte tolle Pferde: Araber mit solcher Härte, habe ich in Deutschland noch nicht gefunden. Dort geht es über Stock und Stein, viel Geröll, da würden wir hier nie langreiten. – In Deutschland habe ich dann Puschkin entdeckt, meinen Achal-Tekkiner Hengst und dachte: Dieses Pferd ist prädestiniert dafür, Distanzen zu laufen. Allerdings war er sehr dominant, als er zu mir kam, und es war zunächst viel Arbeit nötig.
RuZ:
Weshalb durfte Puschkin Hengst bleiben?
JB:
Weil er gekört ist und auch schon eine gute Nachzucht aus Hannoveraner Stuten hat. Ich bekomme auch immer wieder Deckanfragen. Er ist sehr korrekt gebaut und vom Exterieur her für mich das non plus ultra. Außerdem hat er einen total ehrlichen Charakter.
RuZ:
Wie trainierst du deine Pferde?
JB:
Mir ist es ganz wichtig, Abwechslung ins Training zu bringen. Gerade bei Puschkin ist es so, dass er sich schnell langweilt, wenn man im Gelände nur Kilometer frisst. Deshalb wird mindestens zweimal wöchentlich auf dem Platz gymnastiziert. Beim Geländetraining wechseln sich längere ruhige Ritte mit schnelleren oder Intervalltraining ab, je nachdem, was gerade ansteht, ob wir aktuell für einen Ritt trainieren oder nur Kondition aufbauen. Ich reite sehr viel mit Pulsmesser und GPS, um die Kontrolle zu haben: Wie schnell bin ich unterwegs und wie lange? Für mich ist es wichtig, die Pferde wirklich zu reiten. Was uns hier fehlt, ist Bergtraining. In Italien standen die Pferde auf riesigen Hangweiden, da trainierten sie sich wirklich ein Stück weit selbst. Das ist aber hier für meine Pferde nicht gegeben.
RuZ:
Reitest du täglich?
JB:
Ja.
RuZ:
Wenn du für einen langen Ritt trainierst, wie häufig reitest du im Vorfeld auch lange Trainingsstecken?
JB:
Ich baue die Pferde eher über das regelmäßige Reiten von kürzeren Strecken auf. Wichtiger ist mir, dass man Bewegungsmuster einschleift, und dass man die Geschwindigkeit trainiert, die man auf dem Ritt dann auch gehen möchte.
RuZ:
Das heißt, dass du die Pferde – zum Beispiel von der mittleren auf die lange Strecke hin – im Laufe der Saison über die Ritte aufbaust?
JB:
Genau, man macht sich einen Plan, steckt seine Ziele ab und versucht – gerade auch mit den Jugendlichen – die regionalen Ritte als Wettkampftraining zu nutzen.
RuZ:
In diesem Sinne: Auf eine erfolgreiche Saison 2010!
Das Interview führte Miriam Lewin.
2008 – Gräfin Blanca von Hardenberg – Gespräch mit der Landesmeisterin im Distanzreiten 2008
„Reiten und Zucht“ 11/2008
Ein Endurance-Globetrotter im Märkischen Neuenhagen
Blanca von Hardenberg ist diesjährige Landesmeisterin der Berlin-Brandenburger Senioren im Distanzreiten. Im Jahr 2003 hatte sie den Titel schon einmal erritten, dann aber ihren Berliner Wohnsitz aufgegeben.
Jetzt ist sie wieder da, in Neuenhagen, östlich der Hauptstadt, mit altem Elan und neuen Ideen. – Sie ist auf dem Graditzer Hof eingezogen, der historischen Stallanlage an der Idea-Bahn, einen Steinwurf vom S-Bahnhof Hoppegarten entfernt. Hier soll ein Endurance-Trainings- und Leistungszentrum entstehen, das ist ihr Traum. Bundestrainer Hansjörg Bendiner hat den Flecken schon in Augenschein genommen und war begeistert. Wenn dieser Standort erst einmal aus seinem Dornröschen-Schlaf erweckt ist, könnte er sich zur ostdeutschen Dependance einer geplanten Endurance Academy entwickeln.
Als ich an einem frischen Sommer-Morgen mit Blanca in ihrem neuen Domizil verabredet bin, kommt sie mir in Gummistiefeln entgegengestapft, eine Wollmütze tief ins Gesicht gezogen. Sie spricht mit leiser, heiserer Stimme. Nein, das vorgesehene Rennbahntraining, gemeinsam mit Ex-Landesmeister Harald Braun hat sie trotz Schüttelfrost nicht abgesagt. So ist sie nun einmal, Blanca von Hardenberg, klein, zierlich, zielstrebig und einfach nicht unterzukriegen, weder im Wettkampf noch im Leben überhaupt.
Denn da hat sie sich was vorgenommen, aus den denkmalgeschützten Gemäuern des einst prachtvollen, zu DDR-Zeiten jedoch mehr und mehr vernachlässigten Hofes ein Leistungszentrum für Distanzpferde zaubern zu wollen. Den alten Stallungen fehlen Licht und Luft. Die gedeckte Winterreitbahn – dies keine Umschreibung für eine Reithalle, sondern in der Tat ein Rondell für das Schlechtwetter-Training von Rennpferden – muss instand gesetzt werden. In einem anderen Gebäude sollen geräumige Paddockboxen entstehen. Auch die Wohnung in der ehemaligen Trainer-Villa ist eher noch eine provisorische Behausung, das Haus schreit nach frischem Putz, die Fensterrahmen nach Farbe. Koppeln wollen gebaut sein. Doch während Blanca mich herumführt und von ihren Visionen erzählt, kann ich schon alles auferstehen sehen, so konkret sind ihre Vorstellungen bereits.
Und die Voraussetzungen sind ideal, sofern man bereit ist, Zeit, Geld, Geduld und Nerven zu investieren. Der Hof allein umfasst 4 Hektar Land, dazu gehören noch 17 Hektar Trainierbahn, bestehend aus einer Sandbahn und einem waldgeschützten Wegenetz. Die Stallungen beherbergten einst edle Galopper aus Graditz, freilich zu Zeiten, als man Vollblüter noch in Dunkelkammern sperrte. „Da müssen andere Türen her“, sagt Blanca, als Pferdebesitzerin Daniela und Helfer Pasqual die beiden Pferde in den Stall führen, die sie heute für ein paar Tage Rennbahntraining eben mal aus Westdeutschland herübergefahren haben. Und schon reißt Blanca gemeinsam mit Pasqual an den Boxentüren die imaginäre Linie an, wo man die Flexsäge zum Halbieren ansetzen müsste.
Momentan jedoch recken die beiden Araber noch etwas irritiert die Köpfe und schnauben durchs kleine Gitterloch ihrer massiven Holztüren. Buddy und Paradise haben sich in dieser Saison im Distanzsport unter Blanca von Hardenberg schon groß in Szene gesetzt.
Für Paradise – ebenso wie Buddy im Besitz von Daniela Kübbeler – schien der internationale Distanzritt im holländischen Ermelo über 125 Kilometer ein Spaziergang gewesen zu sein. In Tempo 3,5 marschierte die ausdrucksvolle Schimmelstute der Konkurrenz davon und kassierte am Tag nach dem Rennen auch noch den Best Condition für das Pferd, das im Anschluss an die Prüfung in der besten Verfassung vorgestellt wurde. Bereits sechs Wochen zuvor war die liebevoll „Radieschen“ genannte Vollblutaraber-Stute in Fischerhude in internationaler Konkurrenz über 80 Kilometer auf den vierten Platz gelaufen.
Mit Buddy erritt Blanca den Landesmeistertitel. Auch er zog im Tempo 3,59 der Konkurrenz unangefochten davon. Dabei ist der großrahmige Fuchs, dem man den Vollblutaraber nicht ansieht, alles andere als einfach. „Er ist ein Killer“, beschreibt ihn Blanca schlicht, „im Umgang und unterm Sattel. Bei ihm bist du nie vor Überraschungen sicher. Aber wenn er läuft, dann läuft er.“ Daniela und Blanca haben das Pferd, das als kaum reitbar und praktisch nicht zu handeln galt, als 4jährigen Hengst aus dem Rennsport geholt. Inzwischen ist er Wallach und acht Jahre alt, läuft seit drei Jahren im Distanzsport. Jetzt steht er am Beginn seiner zweiten Karriere.
Heute reitet Blanca den Fuchs durch das hohe Gras der Neuenhagener Trainierbahn, zusammen mit Daniela auf Paradise und Harald auf Tango Lady. Pasqual bringt mit dem Auto ein paar Wasserkanister, Eimer und Getränke für die Reiter auf die Bahn, und so wird unter Wettkampfbedingungen trainiert. Das ist mal wieder typisch Blanca: professionell und durchorganisiert. „Und das würde natürlich alles nicht funktionieren, wenn ich meine Freunde nicht hätte, die mich unterstützen“, sagt sie und meint in diesem Falle Daniela und Pasqual.
Überhaupt Freunde, die sind ihr wichtig, und die hat sie auf der ganzen Welt. Ohne sie wäre eines der größten Projekte, die sie plant, undenkbar: Auf dem Rücken eines Pferdes von Dubai nach Berlin. Als „Kulturbegegnung zwischen Ost und West“ betrachtet die Visionärin ihr Vorhaben, „mit dem Ziel, Momente der Begegnung und des Austauschs zu schaffen, Länder, Regionen und Menschen zu verbinden, Freundschaften zu schließen und anhand von Gesprächen den Dialog der Kulturen zu fördern“. – Im nächsten Herbst nach dem moslemischen Fastenmonat Ramadan will sie starten. Die Vorbereitungen jedoch laufen jetzt schon auf Hochtouren.
Aber Blanca wäre nicht Blanca, wenn sie nicht noch ein paar andere Eisen im Feuer hätte. Vielleicht geht sie ja im Winter für ein paar Wochen als Distanz-Trainerin in den Nahen Osten. Oder sie reitet Buddy doch noch mal beim CEI*** in Göttingen. Oder in Frankreich? Oder Spanien? Irgendwie ist sie ja überall zuhause. Aber in Neuenhagen neuerdings ein kleines Bisschen mehr.
Miriam Lewin
2008 – Harald Braun – Ein bunter Vogel
„Reiten und Zucht“ 3/2008
Harald Braun, amtierender Landesmeister im Distanzreiten, über die Disziplin im Allgemeinen und über sein Pferd Tango Lady im Speziellen
Im September 2007 wurde Harald Braun in Kagel mit seiner erst neunjährigen Englischen Vollblutstute Tango Lady Berlin-Brandenburgischer Meister im Distanzreiten. Schon in den beiden Vorjahren hatte er mit dem zeitig im großen Sport eingesetzten Pferd nach dem Titel gegriffen, war aber gescheitert: 2005, weil sein Pferd – irritiert von dem Menschenauflauf im Ziel – nach 120 Kilometern in Führung erst eine Vollbremsung einlegte und sich dann aufzuregen begann, sodass ein zu hoher Puls in der Nachkontrolle zum Aus führte. 2006 konnte Tango Lady den diesjährigen Vizemeister Kiasso unter Sybill Matzdorf noch nicht schlagen, es reichte aber immerhin schon für Platz Drei.
Unter Distanzreitern gilt Harald Braun als bunter Vogel, der auf konventionelle Ausrüstung pfeift, sich erst zum internationalen Debüt 2007 mal einen richtigen Reithelm zugelegt hat und bei Siegerehrungen statt in Schwarz-Weiß im maßgeschneiderten Anzug antritt.
In seiner Neuköllner Wohnung sprach der gelernte Zootechniker und Tierarzthelfer über Trainingsmethoden, Reitweisen, sportliche Ziele und Wünsche – und natürlich über Tango Lady. Er hat die großrahmige braune Stute zweijährig praktisch von der Wiese weg gekauft. Für 500 D-Mark. Damals war sie so unterentwickelt gewesen, dass man sie für den Galopprennsport schlichtweg ignoriert hatte.
„Bei der Arbeit hat sich herausgestellt, dass Lady einen sehr eigenwilligen Kopf hat“, erzählt Harald Braun, „die hat gebissen und geschlagen. Eigentlich hatte ich sie für den Preis nur mitgenommen, um sie anzureiten und weiterzuverkaufen. Aber mit der wäre ja kein Mensch klargekommen! Genau das war die Herausforderung. Es hat Jahre gedauert, bis das Grundvertrauen da war. Aber wenn du so ein kompliziertes Pferd erst einmal auf deiner Seite hast, dann hast du mit Sicherheit einen Freund fürs Leben.“
Erst mit Tango Lady ist Harald Braun, der zuvor nur auf kurzen Distanzen unterwegs war, zum Langstreckenreiter geworden. „Ich habe gemerkt, dass die das locker wegsteckt und eigentlich auch gar nicht so viel Geländetraining braucht. Ich lege mindestens genauso viel Wert auf gymnastizierende Arbeit. – Im Spitzensport gibt es viele gut gerittene Pferde. Aber wir tun der Disziplin keinen Gefallen, wenn gerade auf den kurzen Strecken auch immer wieder schlecht gerittene Pferde zu sehen sind. Es ist unabdingbar, dass ein Distanzpferd vorwärts-abwärts gearbeitet wird und über eine solide Grundausbildung verfügt. Auch Versammlung bis zu einem gewissen Grade tut jedem Distanzpferd gut. Natürlich kann ich es nicht im Wettkampf stundenlang versammelt durchs Gelände reiten, aber doch immer mal wieder aufnehmen. Dressur ist, um in höheren Klassen reiten zu können, unabdingbar.“
Wer Harald Braun kennt, den mag diese Aussage zunächst überraschen. Selbst beim internationalen CEI*** in Fischerhude sah man ihn locker zurückgelehnt im Westernsattel. „Bevor ich Lady im Distanzsport eingesetzt habe, bin ich mit ihr sogar zweimal Allroundchampion im Westernreiten geworden“, erklärt Harald Braun, „aber zu DDR-Zeiten bin ich wie alle anderen auch im ortsüblichen Reitverein englisch geritten. Für das Distanzreiten hilft einem beides. Man bringt dem Pferd übers Westernreiten eine gewisse Selbstständigkeit bei und gymnastiziert es über das klassische Reiten. Das bringt das Pferd in eine anatomisch Kräfte sparende Haltung, was es wiederum locker über lange Strecken schadlos vorwärts gehen lässt.“
Im Schnitt trainiert Harald Braun die Stute nur drei- bis viermal die Woche, im Winter jeweils neunzig Minuten in der Halle und sechzig im Gelände; im Sommer kehrt sich das Verhältnis um. Neben Dressur und (ruhigen) Trainingsritten stehen dann Intervalltraining, Schwimmen und Arbeit am Berg auf dem Programm. „Das Grundtraining, das in den ersten drei Jahren stattfindet, ist für ein Distanzpferd entscheidend“, sagt Harald Braun. „Da muss man viel Zeit investieren, um Sehnen und Bänder zu stählen. Wenn man diese Phase schadlos überstanden hat, dann sind nach oben hin keine Grenzen gesetzt. Muskeln kann jedes Pferd in relativ kurzer Zeit aufbauen. Sehnen und Bänder verschleißen, wenn nicht alles richtig gemacht wurde. – Aber das ist Wissen, das sich jeder Distanzreiter selbst aneignen muss. Einzig und allein das Pferd kann dir am Tag nach dem Ritt sagen, ob die Belastung zu hoch war oder nicht. Und nur, wenn man Kleinigkeiten zu erkennen vermag, kann man sein Pferd gesund erhalten.“
Dass trotzdem immer etwas schief gehen kann, zeigte der gescheiterte Start bei der Deutschen Meisterschaft 2007. „Meine Reitbeteiligung war zehn Tage zuvor der Meinung, sie müsse mit Lady am See auf einen Steg reiten und ist eingebrochen. Die Stute hatte Schürfwunden an den Innenschenkeln bis zum Euter. Und das vor dem Event des Jahres, wo ich ja auch nicht bloß irgendwie hinterherreiten, sondern vorn mit dabei sein wollte.“ Überhaupt relativiert Harald Braun die Maxime des Distanzsports Angekommen ist gewonnen für sich persönlich: „Ab einer bestimmten Größenordnung der Veranstaltung – wie einer Deutsche Meisterschaft – sollte man auch einen gewissen Ehrgeiz haben. Es kostet schließlich eine Menge Zeit, Geld und Nerven das Pferd auf so einen Ritt vorzubereiten und gesund zu erhalten.“ – Neben dem finanziellen sei es vor allem der enorme zeitliche und personelle Aufwand, der Auslandsstarts und die Teilnahme an den großen internationalen Ritten innerhalb Deutschlands limitiert. „Du bindest jedes Mal ein ganzes Wochenende ans Bein, fährst stundenlang, kommst kaum zum Schlafen, sorgst dich um dein Pferd und musst jedes Mal noch einen ganzen Tross mitnehmen und laufend motivieren, denn je größer die Ritte werden, desto mehr Leute werden benötigt, die für dich und das Pferd immer zu einhundert Prozent da sein müssen. Mit der Crew steht und fällt alles. Das ist ein Riesenaufwand, den diese Leute da unentgeltlich betreiben, und ich kann meinen beiden Trosserinnen Jessica Zumstein und Annette Morell, die mir zudem Navigatorin und Organisatorin ist, gar nicht genug danken.“
Für die Zukunft wünscht Harald Braun sich für den Distanzsport mehr Popularität und im Spitzensportbereich mehr Förderung. „Ein gutes Pferd zu haben, ist das eine, aber das Pferd dann auch dementsprechend trainieren und einsetzen zu können, ist das andere. Wenn es am Startgeld fehlt oder am Geld für das nötige Equipment, dann kannst du einen Weltmeister im Stall haben und kommst trotzdem nie zum großen Sport. In anderen Ländern wie in Frankreich wird es uns vorgemacht. Dort werden Spitzenpferde professionell trainiert und den guten Reitern zur Verfügung gestellt. Selbst damit hätte ich kein Problem. – Wenn ich es vielleicht aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr schaffen sollte, ein internationales Championat zur reiten, bin ich doch der festen Überzeugung, dass Lady unter einem anderen Reiter das Zeug dazu hätte.“
Miriam Lewin